Der "heilige" Kommunismus und DAS "BÖSE" GELD

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"Es gibt keine Alternative zum Kapitalismus. Der Kapitalismus ist die Form der Organisation der modernen Gesellschaft, das Schicksal der Moderne, unser Schicksal.

Ich 'glaubte' an Marx und litt zugleich am 'Sozialismus'. Meine Sympathie galt den osteuropäischen Reformern. Aber mein Denken blieb vom Marxismus geprägt.

Ich stellte fest, dass auch die über Jahrzehnte von Mises, Hayek und anderen geführte Sozialismusdebatte ohne Ergebnis blieb. Das war eine große Enttäuschung."

Der Laie wird vermuten, dass Leute, die Wirtschaft studieren, sich eingehend mit der zentralen ökonomischen Kategorie, dem Geld, befassen. Das Gegenteil trifft zu. Das zeigt auch meine persönliche Lerngeschichte. Nach einem Semester Studium Generale in Innsbruck wechselte ich an die Freie Universität Berlin und entschied mich für das Fach Volkswirtschaft. Es gab zwar Spezialvorlesungen über Geld. Aber über Geld erfuhr ich wenig. Meine Diplomarbeit war orthodox-neoklassisch, formal und mathematisch. Ich schrieb über ein Gleichgewichtssystem im Handel zwischen zwei Ländern, die jeweils zwei Güter erzeugen. Ich zeichnete viele Kurven und strapazierte höhere Algebra -aber Geld kam in meiner Arbeit nicht vor.

Tausch -Geld -Kapital

Erst die Bewegung der Achtundsechziger brachte mich mit dem Thema Geld in Berührung. Mein Lehrmeister war Karl Marx. Von ihm, dem Geldfeind schlechthin, lernte ich über Geld und die Wirtschaftsgesellschaft mehr als ich aus der Schulbuchökonomik gelernt habe und wahrscheinlich auch je lernen könnte. Damit wurde meine erste intensive Lernphase, was Geld betrifft, angeschoben.

Marx zeichnete dessen Entwicklung nach: vom Tausch zum Geld, vom Geld zum Kapital. So erhellend seine Theorie über die Entstehung und Wirkung des Geldes für mich war, so dunkel blieb mir allerdings seine Vorstellung, was an die Stelle von Tausch, Geld und Kapital treten könnte, welche er in dem von ihm erträumten Kommunismus zu überwinden hoffte. Wie eine Gesellschaft ohne Tausch und Geld funktionieren könnte, dazu schwieg Marx beharrlich, und meine marxistisch orientierten Kommilitonen wussten auch nichts Besseres, als Engels zu zitieren: Es werde sich alles weisen, wenn die Kommandohöhen der Wirtschaft erobert sein würden. Ich war verärgert. An den Sozialismus wollte ich schon glauben, aber ich wollte zumindest wissen, wie er funktionieren könnte.

Also begab ich mich auf die Suche nach einer tragfähigen Theorie und begann, meine Dissertation zu schreiben. Meine Fragestellung lautete: Lässt sich aus der Wirtschaftslehre von Marx eine Perspektive für den Aufbau einer sozialistischen (nichtkapitalistischen) Gesellschaft gewinnen? Das Ergebnis lautete: Nein. Jedenfalls nicht, wenn Marx wörtlich genommen und im Sinne des orthodoxen Marxismus interpretiert wird. Damals berief sich die gesamte "Zweite Welt" auf Marx, und die eben gestellte Frage war alles andere als weltfremd. Ich wies erstens nach, dass Marx' Theorie die perfekte Grundlage für den Stalinismus lieferte. Zweitens zeigte ich die Unmöglichkeit der Abschaffung von Geld und damit die Unsinnigkeit der Forderung nach einer solchen auf. Trotzdem aber wollte ich weiter an die Möglichkeit des Sozialismus als einer Alternative zum Kapitalismus glauben und versuchte daher, Marx durch eine Reinterpretation seiner Wertlehre zu retten.

Das heißt: Ich "glaubte" weiter an Marx und litt zugleich am "Sozialismus". Die Sowjetunion trampelte 1968 den Prager Frühling nieder. Meine Sympathie galt zwar den osteuropäischen Reformern. Aber mein Denken war weiterhin von Konzepten des Mainstreams und vom Marxismus geprägt.

Das Nebeneinander der Systeme

1975 wechselte ich von Berlin mit Familie ins gemütlichere Wien. Als Wirtschaftsforscher am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche machte ich mein akademisches Hobby, das Studium des Sozialismus, zu meinem Beruf. Dort wühlten wir in Zahlen, reisten, und knüpften zahlreiche Kontakte nach Osteuropa. Das tat gut. Nach den intellektuell anspruchsvollen Berliner Jahren wurde ich zum nüchternen Empiriker. Ich forschte auf verschiedensten Feldern: über die Preisstellung im sowjetischen Handel mit den "Bruderländern" (wer beutet wen aus: die Sowjetunion die Bruderländer oder diese die Sowjetunion?), über die Energiewirtschaft der Oststaaten, deren Investitionspolitik, über die Wirtschaft der DDR, für die ich der Experte aus Österreich wurde usw.

Die Phase des Kalten Krieges war 1975 bereits vorbei. Die Welt hatte sich längst an die Existenz zweier unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Systeme, die sich in zwei Blöcken organisierten, gewöhnt. Das passte im Übrigen perfekt in das Konzept des westlichen Mainstreams: Dieser unterstellt die Existenz wirtschaftlich vernünftiger Zustände und behauptet, sie könnten entweder über den Plan oder über Märkte erreicht werden. Diese Grundannahme lag der Ost-West-Zusammenarbeit wie auch der Ostforschung zugrunde.

Kaum jemand stellte das Nebeneinander der Systeme in Frage. Jeder nahm an, der Sozialismus würde als alternative Koordinationsform für immer existieren. Man befürchtete sogar, von ihm überholt zu werden und rüstete sich gegen einen starken Gegner. Erst kurz vor seinem Zusammenbruch bemerkte man, dass es überall bröckelte.

Im Jahre 1980 empfahl mir ein Freund die Lektüre der "Philosophie des Geldes" von Georg Simmel. Indem ich mich Seite für Seite durch dieses Werk arbeitete, wurde für mich die Systemfrage wieder virulent -allerdings mit der für mich überraschenden Konsequenz, dass die Vorstellung von einem vernünftigen oder optimalen Zustand nicht unabhängig vom "System" gefasst werden könne. Meine Schlussfolgerung war dann: Außerhalb von Markt und vor allem von Geld gibt es gar keine Wirtschaft. Erste Zweifel an der Richtigkeit der sozialistischen Doktrin, die darauf setzte, dass die Beseitigung von Tausch (Markt) und Geld die Voraussetzung zur Erreichung einer vernünftigeren Gesellschaft sein würde, waren mir ja schon bei meiner Dissertation gekommen. Durch Simmel wurde mir aber die Bedeutung des Geldes für die Selbstorganisation moderner Gesellschaften in vollem Umfang bewusst: Geld ist nicht der Schleier der Wirtschaft, wie die Ökonomik behauptet, sondern der Macher oder zumindest Katalysator der Wirtschaftsgesellschaft. Für mich war klar, dass diese Erkenntnis unmittelbare Bedeutung für die Beantwortung der Systemfrage haben müsste. Ich kam zur Auffassung, dass es keine Gesellschaft ohne Geld geben könne, d. h. dass der Sozialismus an seiner eigenen Zielsetzung -der Abschaffung von Geld -zugrunde gehen müsse.

Nun kam die eigentliche Arbeit. Sie begann mit der Suche nach Antworten auf die wichtigste Schicksalsfrage, die die Welt in zwei Teile spaltete. Das Studium ökonomischer Literatur blieb unergiebig. Der Mainstream lässt, wie schon gesagt, offen, über welche Koordinationsform der wirtschaftliche Zusammenhang herzustellen sei. Auch die deutsche Ordnungstheorie schloss sich dieser Logik an. Ich musste feststellen, dass auch die über Jahrzehnte von Mises, Hayek und vielen anderen geführte Sozialismusdebatte ohne Ergebnis blieb. Das war eine große Enttäuschung. Ich empfand es als skandalös, dass die Wissenschaften vor der Systemfrage kapitulierten.

Auch die Soziologie blieb sozialismusgläubig. Von der Systemtheorie Luhmanns holte ich mir viele Anregungen, aber auch sie war sozialismusneutral. Ich dachte immer, aus dem Konzept der Selbstorganisation müsste eine klare Stellung ableitbar sein. Ich konfrontierte Luhmann persönlich mit dieser Frage. Er winkte ab.

Geld versus Sozialismus

Mit Ausnahme von Simmels Geldphilosophie konnte mir keine Theorie eine Orientierung geben. Ich hielt weiter an der Idee fest, dass Geld eine essenzielle und durch nichts ersetzbare Funktion für die Gesellschaft habe, und je mehr ich forschte und nachdachte, desto mehr wurde ich bestätigt: Am Geld scheiden sich die Geister. Am Geld müssen sich die Sozialwissenschaften, ganz voran die Ökonomik, bewähren. Die Auseinandersetzung mit dem Sozialismus -dem Antipoden des Geldes -hatte mich auf die Spur gebracht.

Der Weg zur Freiheit

Etwa gleichzeitig mit Simmel kam ich auch mit der Lehre Rudolf Steiners in Berührung. Steiner denkt in allem in Richtung Heilung, nicht Ausmerzung. So geht er auch nicht gegen Geld an, sondern empfiehlt einen Weg mit Geld. Geld ermöglicht Freiheit, sagt er, Geld erfordert Gestaltung. Sätze wie diese sprachen mich vom zwanghaften Negieren des Bestehenden frei.

Mit Simmel und Steiner veränderten sich sowohl mein Blick als auch meine Einstellung zur Realität. Mit Simmel sehe ich: Es gibt keine Alternative zum Kapitalismus. Der Kapitalismus ist die Form der Organisation der modernen Gesellschaft -das Schicksal der Moderne, unser Schicksal. Steiner erlaubte mir nicht nur, die Welt als gestaltbar zu empfinden, sondern sieht dies als Aufgabe. Der Weg zur Freiheit kann nicht darin bestehen, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern ihn, gemäß seinen eigenen Möglichkeiten, von innen heraus kräftig umzugestalten. Wer die Gesellschaft "liebt", wird Mut haben, sie auch kräftig umzugestalten. Wer sie hasst, träumt von etwas Besserem, das nie kommt.

Geld und Schuld Eine ökonomische Theorie der Gesellschaft Metropolis-Verlag 2016, 438 Seiten, € 30,70

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