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„Muttersöhne" in der Politik - Machtgier und Mutterbindung

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Schon 1986 ist das Buch „Mut- tersöhne" des 1942 in Wiesbaden geborenen Volker Elis Pilgrim er- schienen, das mit seinen radikalen Thesen zur Mutter-Sohn-Bezie- hung heiß umstritten ist. Diese haben persönliche wie politische Brisanz, Biographien von Herr- schern, Feldherren, Politikern, Künstlern untermauern sie.

Pilgrim zeichnet das Bild von Ehefrauen und Müttern, denen die Geburt eines Sohnes hohe Wert- schätzung in ihrer Familie und in ihrer Umgebung bringt. Und dies in einer Gesellschaft, die den Frau- en die Innen-Welt zuweist, den Männern, Vätern aber die Außen- welt, sie haben in Beruf, Politik, Gesellschaft ihren Platz. Die Frau- en erfahren es einerseits als Auf- wertung, Gebärerinnen von Söh- nen zu sein, gleichzeitig verletzt es sie aber, auch auf diese indirekte Weise die Zurücksetzung des Weib- lichen zu erleben.

In der Mutter wächst nun eine sehr enge Bindung an den sie auf- wertenden Sohn, stärker als et- waige weibliche Geschwister wird er mit Zuneigung und mit Erwar- tungen überschüttet.

„An der Seite" des Sohnes sieht die Mutter einen Ausgleich für den ihr zugemuteten Verzicht auf berufliche Wirkmöglichkeiten und Lebensperspektiven über die Pha- se der Kinderbetreuung hinaus, meint Pilgrim.

Als „Partnerin" des Sohnes kann sie an dessen Entfaltung und ge- sellschaftlichem Aufstieg, an des- sen Zukunft teilhaben und in eine ihr bisher verschlossene Welt vor- dringen.

Die Entwicklung dieser Art von Mutter-Sohn-Bindung ist - so Pil- grim - allerdings eng mit einem bestimmten Verhalten des Eheman- nes und Vaters verbunden. Den häufig abwesenden, jedenfalls aber stark außerhalb der Familie orien- tierten Partner ersetzt ihr der Sohn. Der Ehemann verfolgt seinen be- ruflichen Aufstieg, widmet sich den persönlichen Interessen und hat nicht selten Neben-Frauen.

Gleichzeitig verhindert der jeden- falls als männliche Bezugsperson nicht anwesende Vater beim her- anwachsenden Sohn dessen männ- liche Identitätsentwicklung. Ein Ich-Aufbau des Sohnes aus dem Verhalten des Vaters kann nicht stattfinden, da häufig auch andere Vertreter der Männerwelt wie Groß- väter, Onkel oder Lehrer fehlen.

Das für eine Tocher selbstver- ständliche Vorbild der Mutter darf aber nicht vom Sohn nachgeahmt werden, ist doch das Weibliche in ihm ab einer bestimmten Alters- stufe verpönt.

Die vom Kleinkind bis zum Ju- gendlichen wichtigste Bezugsper- son muß in ihm ausgelöscht wer- den. Daraus sich ergebende Span- nungen und Spaltungen werden auch sein künftiges Verhältnis zu Frauen bestimmen, es wird immer von Abwehr gekennzeichnet sein, meint Pilgrim.

Diese mißglückte Mannwerdung behindert bei vielen Muttersöhnen auch die Menschwerdung, Die ei- gene innere Zerrissenheit bewirkt ein Bedürfnis, auch ringsum zu vernichten und zu zerstören. Die eigene innere Abtötung sucht im Tod anderer deren Anteilnahme am erlittenen Schmerz.

Die aus einer solchen psychi- schen Konstitution folgernde in- nere Schwäche und mangelhaft ausgebildete Gefühlswelt präde- stinieren Muttersöhne zu Diktato- ren - Pilgrim nennt von Alexander dem Großen, Cäsar oder Iwan dem Schrecklichen bis zu Hitler und Stalin.

Des Autors Schlußfolgerung ist, der permanent weitergegebenen Zerstörung durch die Männerge- sellschaft ein Ende zu setzen, die Gleichwertigkeit der Frauen in al- len Lebensbereichen zu verwirkli- chen.

Den hier kurz referierten Thesen Pilgrims gegenüber ist der Vorwurf einer überzogenen Verallgemeine- rung durchaus am Platz, auch wer- den manche als Beispiele angeführ- te Biographien höchst willkürlich interpretiert.

Trotzdem scheint einiges Grund- sätzliche an diesen Ausführungen einleuchtend und schlüssig, auch entwicklungspsychologisch richtig. Nicht zuletzt auf dem Hintergrund des persönlichen Erfahrungsschat- zes.

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