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Neue Funde im „mauergewaltigen Troia"

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Fünfzig Jahre ruhten die Ausgrabungen. Seit 1988 arbeitet ein internationales Team von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen wieder auf dem sechs Kilometer landeinwärts von den Dardanellen in der Türkei gelegenen Hügel Hisarlik.

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Fünfzig Jahre ruhten die Ausgrabungen. Seit 1988 arbeitet ein internationales Team von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen wieder auf dem sechs Kilometer landeinwärts von den Dardanellen in der Türkei gelegenen Hügel Hisarlik.

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Der Pastorsohn aus Mecklenburg, der Großkaufmann und Pionier der modernen Archäologie Heinrich Schliemann hatte ihn als das sagenumwobene, nach zehnjähriger Belagerung von den Griechen zerstörte Troia identifiziert. Jetzt hat Manfred Korfmann, Professor für Vor- und Frühgeschichte der deutschen Universität Tübingen, die Grabungsleitung inne.

Ziel der zunächst nur für fünf Jahre von der Daimler-Benz AG mit 1,3 Millionen Mark (9,1 Millionen Schilling) und öffentlichen Mitteln geförderten Kampagnen war die Suche nach neuen Erkenntnissen, die Erhaltung der bisher freigelegten Ruinen und die „Lesbarkeit" der Hinterlassenschaft von neun versunkenen Städten aus der Zeit von 3500 v. Chr. bis 500 n. Chr. Verwirren doch, in etwa 16 Meter Höhe übereinander liegend, die einzelnen Mauern den Besucher eher, als daß sie ihn in die Vergangenheit versetzen würden.

1992 passierte dann, womit eigentlich außer den Beteiligten kaum jemand mehr gerechnet hatte. 1992 entdeckte Korfmann unter Mitwirkung der Prähistorikerin Mechthild Meiling, zuständig für die Schichten Troia I bis VII, und Charles Brian Rose von der Universität Cincinnati, verantwortlich für die hellenistische und römische Epoche Troia VIII und IX, was Generationen von Archäologen erhofft, aber nicht gefunden hatten: nicht Heinrich Schliemann (1871 bis 1873,1878,1879,1882 und 1890) und Wilhelm Dörpfeld(1882und 1890 gemeinsam mit Schliemann, 1893 und 1894 allein) oder der Amerikaner Carl W. Biegen (1932 bis 1938). Die Spatenforscher von 1992 stießen auf eine mächtige Stadt an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien, wie sie Homer im 8. Jahrhundert v. Chr. besungen hatte.

Das heißt: Erst die jüngsten Ausgrabungen ließen erkennen, daß das im beginnenden 13. Jahrhundert v. Chr. in Schutt und Asche gelegte „schöngebaute, mauergewaltige" Troia des Königs Priamos, Hektars und der von Paris aus Sparta entführten schönen Helena in seinen Dimensionen nicht so klein war, wie es Schliemann, Dörpfeld und Biegen resignierend annehmen mußten. Sie hatten nämlich lediglich die rund 16.500 Quadratmeter große Akropo-lis und nicht auch die vor ihrer imposanten Mauer gelegene Unterstadt mit etwa 80.000 Quadratmeter Fläche genau untersucht. Gemäß den Grabungsergebnissen des vergangenen Sommers besaß aber schon Troia II (2500 bis 2300 v. Chr.) außerhalb seiner Mauern eine Siedlung.

Demographische Überlegungen gehen davon aus, daß zur Zeit von Troia VI (1500 bis 1200 v.Chr.) etwa 6.500 Menschen dort lebten. Freilich gibt es bei dieser Berechnung unbekannte Größen wie die Bebauungsdichte oder die Effizienz der landwirtschaftlichen Nutzung. Zutage kamen jedenfalls sowohl direkt an der von Dörpfeld aufgedeckten Umwal-lung als auch mehr als hundert Meter von ihr entfernt unter den Schichten der römischen Siedlung Ilium in den

Kalkfelsen eingeschnittene, rund sechzig Zentimeter tiefe Fundamentgräben, Pfostenlöcher und Wandvorsprünge älterer Phasen. Außerdem lassen soeben ausgewertete geomagnetische Messungen den Schluß zu, ungefähr fünfhundert Meter südlich des Burgberges wäre eine weitere Verteidigungsmauer verlaufen.

Während der heurigen Kampagne sollen Grabungen an dieser Stelle zeigen, ob dort tatsächlich eine 3,5 bis 4,5 Meter dicke, zum Schutz der Unterstadt dienende Mauer gewesen ist.

Nicht zuletzt aber wird der seit zwei Saisonen mit der Denkmalpflege und der Bauforschung der durch die Literatur bekannt gewordenen troianischen Gebäude betraute Architekt Friedmund Hueber vom Ludwig Boltzmann-Institut, Wien, gemeinsam mit einem deutschen Vermessungsbüro zwei topographische, dem neuesten Wissensstand entsprechende Pläne erstellen.

Darauf basierend wird er ein Modell vom Burgberg im Maßstab 1:100 sowie eines der gesamten Troias im Maßstab 1:500 bauen. Und Hueber wird wie schon 1992 einige Ergänzungen und Restaurierungen am sogenannten Schliemann-Graben durchführen.

Innerhalb dieses von Schliemann tief in den Hügel Hisarlik getriebenen Grabens befindet sich unter anderem eine fünf Meter breite, gepflasterte Auffahrtsrampe, die, von einem Doppeltor ausgehend, zu einem 45 Meter langen und 13 Meter breiten Bau mit Rauch- und Glutspuren an Hauswänden und Mauerresten führt. Heinrich Schliemann hielt den Weg für jene Rampe, über die der listenreiche Odysseus das hölzerne Pferd mit den tapfersten griechischen Helden in die Stadt gebracht hatte. Das Tor, meinte er, sei das Skäische Tor und das Gebäude der Palast des Priamos gewesen.

In ihm entdeckte er im Jahre 1873 Diademe, Spangen, Ohrgehänge, Armbänder, Ringe und Tausende von kleinen durchlöcherten Goldperlen, die einst zu Halsketten gefaßt waren, Gefäße aus Gold, Elektron und Silber sowie rohe Silberbarren, bronzene Lanzenspitzen, Dolchklingen, Dolchmesser und Streitäxte.

Im Rausch der Begeisterung glaubte er, den Schatz des Priamos unter dem Schutt von sieben verschollenen

Reichen gefunden zu haben. Kurz vor seinem Tod bewies ihm Dörpfeld, daß Homers Troia weder in der zweiten (Troia II) noch in der dritten, sondern in der sechsten Schicht von unten (Troia VI) gelegen war und daß der aus der Türkei nach Athen geschmuggelte „Schatz des Priamos" tausend Jahre vor dem „Troianischen Krieg" einem frühbronzezeitlichen Fürsten gehört haben dürfte. Gleiche

Datierungen gelten für das „Skäische Tor" sowie die Auffahrtsrampe.

Korfmann, der die Wirklichkeit hinter den Mythen sucht, will noch 14 Jahre in Troia graben. Finanziell abgesichert ist die Erforschung der mehr als einmal von Kriegen heimgesuchten Stadt jetzt aufgrund der sensationellen Erfolge mit Hilfe von Daimler-Benz AG für weitere zwei Jahre.

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