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Nur wenige Italiener sind Mafiosi

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Die Mafia war von Anfang an, seit dem 17. Jahrhundert, Geheimbund und Schutzorganisation für die Einheimischen in ihrem Kampf gegen die spanische, dann die französiche Fremdherrschaß und schließlich gegen die eigene sizilianische Oberschicht.

Daß die Mafia sizilianische Anliegen gegen die Interessen der fremden Herren durchzusetzen verstand, machte sie in den Augen der Bevölkerung zur „ehrenwerten Gesellschaft“. Nicht nur im ironischen Sinn sprechen deshalb heute noch viele Italiener von der Mafia als der „Societä onorata“ und der höchste Mafiachef ist für seine Untergebenen wirklich eine ,fllammasantissima“, eine für alle sorgende „allerheiligste Mutter“.

Wenig zählte dabei, daß die Mafia bei der Auswahl ihrer Mittel keineswegs zimperlich vorging. Wichtiger war der Erfolg: daß es der Mafia gelang, sich im Kampf mit den staatli chen Instanzen zu behaupten. Bei den Sizilianern, später bei allen Italienern, verstärkte sich das Bewußtsein, daß die fremden und die eigenen Herren kommen und gehen, daß die Mafia hingegen bestehen bleibt und zur Stelle ist, wenn die einheimischen Interessen auf dem Spiel stehen. So haben viele Italiener seit Jahr und Tag die Mafia der machtlosen Regierung, erst in Neapel, dann in Rom und Palermo, vorgezogen. Die Mafia schuf ein Recht, das in den Augen der einheimischen Unterschicht nicht ungerechter war als das Unrecht, das die fremden Herren und die eigenen Oberschichten begingen. Allerdings mußte die Mafia unter dem starken Mann tiefer untertauchen als im demokratischen Staat. Zudem fällt ein wichtiger Grund fiir die Existenz der Mafia unter einer entschlossenen Staatsführung weg. Anderseits vermag sich die Mafia mit der Staatsgewalt zu verbünden und unter ihrem

Schutz und Schirm noch besser zu gedeihen als im Widerstand.

Viele Ausländer neigen dazu, die Italiener als mafiosi zu bezeichnen, als würde es sich dabei um ein Rassenmerkmal handeln. Tatsächlich tun die Italiener wenig, um diesen Eindruck zu zerstören. Die Mafia ist auf der Apen- ninenhalbinsel gleichsam allgegenwärtig, beherrscht erwiesenermaßen die Bauspekulation, den Wohnungsmarkt und den Zigarettenschmuggel. Sie verurteilt rundweg alle, für die sie sich interessiert, zu einer wenigstens passiven Mitgliedschaft.

Noch am 16. Mai 1977 konnte ein Artikel in der „Time“ behaupten, die ungefähr 5000 Mademen (uomini fatti), die kleinen und großen Chefs der amerikanischen Mafia„are all of Italian ancestry, most of them with roots in Sicily“. Nicht, daß die ganze amerikanische Mafia aus Italo-Amerikanern bestünde. Es gibt da auch Amerikaner anderer Herkunft, besonders Spanier, Griechen, Juden und Portorikaner. Was jedoch zählt, ist der Umstand, daß die amerikanische Mafia von Italo-Amerikanern beherrscht wird und alle ändern zu bloßen Handlangem degradiert sind. Auch in den Vereinigten Staaten ist die Mafia ein Staat im Staat und in ihrem Hoheitsbereich nicht selten die einzige Instanz, deren unerbittliches Belohnungs- und Bestrafungssystem auch tatsächlich funktioniert. An der Spitze des amerikanischen Mafia-Imperiums steht - wie in Italien - „il capo di tutti i capi“, der Chef aller Chefs, genannt „mamma- santissima“. Die Mafia beherrschtnichi die ganze amerikanische Unterwelt, aber ihren größten Teil, und sie ist die einzige Unterwelt-Organisation mit einer nationalen Struktur. In vierzehnhundert Jahren unter fremden Herren-Arabern, Normannen, Spaniern, Deutschen, Franzosen und Österreichern - haben vor allem die Süditaliener die Fähigkeit, sich im Kampf mit der Staatsgewalt zu behaupten, bis zur

Vollkommenheit entwickelt. Daß sie überhaupt den Kampf mit der eigenen Oberschicht und den fremden Herren aufnahmen, und nicht einfach wie viele andere, resignierten, setzt uraltes Herrenbewußtsein voraus, das aus jener Epoche stammt, in der Rom die damals bekannte westliche Welt beherrschte. Wenig zählt dabei, daß im Altertum auch viele Bewohner der Apenninenhalbinsel Sklavendienste leisten mußten. Bedeutsamer ist, daß sie lange vor den meisten anderen Untertanen des Imperiums römische Bürger wurden und daß sie sich mehr als alle ändern Völker als Nachfahren des Weltreichs begreifen können.

Der weitverbreitete Glaube, nur die Kommunisten könnten der Mafia den Garaus machen, verrät nur linksextreme Vorurteile. Im Blick auf die italienische Geschichte muß befürchtet werden, daß die Mafia sich eher mit einer kommunistischen Herrschaft verbünden, als von dieser ausgerottet werden würde

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