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Schlechte Zeiten für Cosa Nostra

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Sein Vater mußte sterben, weil er Erfolge im Kampf gegen die Mafia aufweisen konnte. Der Sohn des Generals dalla Chiesa beschreibt nun die Verbindung zwischen Mafia und den Politikern.

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Sein Vater mußte sterben, weil er Erfolge im Kampf gegen die Mafia aufweisen konnte. Der Sohn des Generals dalla Chiesa beschreibt nun die Verbindung zwischen Mafia und den Politikern.

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Lange schon hat das Wort „Mafia“ seinen nur sizilianisch-folk-loristisch getönten Klang von exotischer Krimi-Subkultur verloren. Mafiöse Praktiken — von der scheinbar harmlosen Vetternwirtschaft bis zur kriminellen Begünstigung, Bestechung und Bedrohung — und die entsprechende Mentalität haben sich über Italien hinaus in vielen Ländern und sozialen Strukturen eingenistet. Die „ehrenwerte Gesellschaft“, wie sich die Mafia nennt, ist nicht mehr nur eine sizilianische. Und was sich hier als „Cosa Nostra“ (unsere Sache) bezeichnet und organisiert, ist längst über das Milieu der Viehdiebe und lokalen Abgabenpresser hinausgewachsen, „Sache anderer“, vor allem des internationalen Drogen- und Waffenhandels geworden, allerdings „rückversichert“ auf der Insel und Halbinsel, ihrer Boden-und Bauspekulation, ihren verfilzten agrarischen, industriellen und nicht zuletzt parteipolitischen Interessen.

Eben dadurch, aber auch durch seinen kaum überschaubaren Umfang (mit 474 Angeklagten und einer über achttausend Seiten langen Anklageschrift) macht der Mafia-Prozeß, der seit Februar in Palermo im Gange ist, einen verwirrenden Eindruck und gerät in die Gefahr einer Selbstinszenierung, bei der man am fernen Ende auf der Bühne gleichsam vor lauter Bäumen keinen Wald mehr erkennen könnte. Und doch ist es kein Schauprozeß, vielmehr der ernste, aber auch (angesichts der Unfaßbarkeit des „Phänomens“) überdimensionierte Versuch, mit den Mitteln des Rechtsstaates und seiner Justiz „die“ Mafia als solche — nicht nur ihre Bosse — in den Griff zu bekommen. Beitragen soll dazu, daß viele Hinterbliebene von Mafia-Opfern als Nebenkläger auftreten.

Zu ihnen gehört der Sohn jenes schon legendären Polizei-Generals Giuseppe dalla Chiesa, der Anfang September 1982 in Palermo von Mafia-Killern ermordet wurde — nur wenige Monate nach seiner Ernennung zum Präfekten von Palermo. Der Sohn, Soziologie-Dozent und engagiertes Mitglied der italienischen kommunistischen Partei hat dem Vater, dem konservativen Staatsdiener (mit dem er zu Lebzeiten im politischen, aber auch generationsbedingten Streit lag) ein ganz ungewöhnliches und schon deshalb beachtenswertes Denkmal gesetzt: Nando dalla Chiesa „Der Palazzo und die Mafia“, „Die italienische Gesellschaft und die Ermordung des Präfekten dalla Chiesa“, Verlag Förtner & Kroemer, Köln, 240 S., öS 168,-.

Ein Buch, das die italienische Öffentlichkeit vor allem deshalb aufgewühlt hat, weil es mit der politischen Anklage, die das Mafia-Treiben und -Morden auf den Zustand der italienischen Gesellschaft und ihrer führenden Schicht zurückführt, ein menschlich berührendes Zeugnis verbindet.

„Ich werde die Namen Deiner Mörder in die Welt hinausschreien, ich werde Dein Andenken vor den Angriffen der Schakale bewahren und die Ideale lebendigzuhalten versuchen, für die Du gestorben bist“, schreibt Nando dalla Chiesa. Mit diesem persönlichen, emotionalen Bekenntnis ist freilich auch die Grenze des politischen, soziologischen und kriminalistischen Erkenntniswertes des Buches gezogen. Es ist deshalb auch kein solcher „Skandal“

— im Sinne von Herausforderung

— wie es manche Italiener empfanden und auch Werner Raith, der Ubersetzer, in seiner Einleitung vorstellt.

Ein österreichischer Leser, dem das Labyrinth italienischer Innenpolitik und Staatsverwaltung, ihres personenbezogenen, intrigenreichen, oft mafiosen oder halbmafiösen Funktionierens ganz fremd ist, wird sich nur schwer durch dieses Buch arbeiten. Es setzt bei seinen Lesern die Kenntnis all dessen voraus und bestätigt durch Details und Schlußfolgerungen, was im Bewußtsein der meisten Italiener ohnehin keines Beweises mehr bedarf, daß der „Palazzo“, also das politische Establishment, und die Mafia Hand in Hand arbeiten, ja einander geradezu bedingen.

Nando dalla Chiesa schildert es am Fall seines Vaters, ohne — wie er selbst betont - eigene Beweiserhebungen oder Nachforschungen angestellt zu haben. Er stützt sich auf bereits, publiziertes Material, auf Gespräche mit seinem Vater, auf dessen Briefe und dessen privates Tagebuch, das auch im Mafia-Prozeß von Palermo keine Rolle spielt. Was aber ergibt sich daraus?

Ein bewährter, energischer, aber durch Bürokratie und Kleinkariertheit — auch im eigenen Offiziermilieu — frustrierter General erhält eine neue Aufgabe, die ihn fasziniert und zugleich beunruhigt. Er, dem - wie er selbst sagt

— „die Schulterstücke auf die Haut genäht sind“, fühlt sich als

Präfekt, als höchster ziviler Verwaltungsbeamter des Staates in Palermo, „in ein unsicheres Umfeld katapultiert“.

Seinem Tagebuch vertraut er an: „Ich habe dort niemanden um mich.“ Man erwarte von ihm Wunder gegen die Mafia, rede aber schlecht über ihn und wolle im Grunde seinen Namen nur „zur Glättung der Wogen in den Parteien“ ausbeuten. Der General will nicht — wie man ihm unterstellt — Sondervollmachten etwa der Art wie sie einst der faschistische Präfekt von Palermo hatte (der die Mafia nur brutal in ihre Verstecke jagte). Dalla Chiesa will Koordinierungsbefugnisse und stößt mit diesem Verlangen auf den Widerstand des parteipolitischen, vor allem christdemokratischen Establishments; dieses pocht gegenüber dem Vertreter des Zentralstaates auf die sizilianische Regionalautonomie. Nur aus Kompetenzeifersucht oder auch aus mafioser Verstrikkung?

Die Antwort ist nicht so einfach wie sie in manchen, dann freilich auch wieder abgeschwächten und differenzierenden Feststellungen des Buchautors gegeben wird.

Unlängst sah man beim Beginn des Mafia-Prozesses in Palermo Arbeiter für die Mafia demonstrieren, denn — so stand auf ihren Plakaten - „mit der Mafia gibt es Arbeit, ohne sie nicht“. Die lokalen Machthaber der Parteien versuchen aus Angst um ihr Leben und um die Wählergunst opportunistisch auf dieser Welle zu schwimmen. Der General hingegen wollte der Mafia das Wasser abgraben, sie gleichsam trockenlegen.

Zu denen, die General dalla Chiesa absichtlich im Stich ließen und deshalb mitverantwortlich seien, rechnet der Autor außer christdemokratischen Lokalgrößen (von denen mancher inzwischen unter Anklage steht), auch namhafte Politiker in Rom, vor allem Giulio Andreotti (der 1982 ohne Staatsamt war). Zum Beweis wird aus dem Tagebuch des Generals zitiert, der Andreotti in einem Gespräch klargemacht hatte, daß er auf dessen Wählerschaft in Sizilien keine Rücksicht nehmen werde. Die Antwort Andreottis erweckt beim General den Eindruck, daß den Politiker „mangelnde Kenntnis“ zu irriger Bewertung der Mafia führt. Eine allzu „folkloristische“ Betrachtung lasse die Politiker nicht die eigentlichen Signale der Mafia begreifen, notiert der General -nicht mehr. Im Familienkreis soll er — laut Sohn — gesagt haben, Andreotti sei kreidebleich geworden, „als ich ihm all das sagte, was ich über seine Leute in Sizilien weiß“.

Der Sohn des Generals war freilich schon bevor er durch sein Buch die Sache des Vaters zur eigenen machte, zum Ziel öffentlicher Polemik geworden: pietätlos bezichtigte man ihn der Pietätlo-sigkeit und befestigte dadurch erst recht seinen Eindruck, daß da absichtsvoll ein „Rollentausch“ zwischen Mörder und Opfer betrieben werde. Gleichwohl vermochte, wie sein Buch zeigt, der analytische Kopf des jungen Soziologen über eigenen Gefühlsaufruhr und politische Voreingenommenheit hinauszudenken, ja sogar über die italienische Neigung, hinter allen Übeln nur finstere Mächte am Werk zu sehen.

Er erkennt, daß zur Uberwindung der Mafia weder linker noch rechter Regimewechsel nötig ist, sondern ein Bündnis von „liberaler, katholischer, reformistischer und marxistischer Kultur“, ja noch etwas viel Einfacheres: „daß der alte konservative Mythos von der .guten Regierung' heute ein revolutionäres Ziel ist“. - Es zu erreichen, würde gewiß das Ende der Mafia und ihres Mythos bedeuten.

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