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Par furlan

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Einer Solidaritätssammlung der Dachorganisation der rätoromanischen Schweizer verdankt das vom Erdbeben heimgesuchte Friaul eine neue Schule. Sie wurde in Tricesimo nördlich von Udine errichtet und dem örtlichen Kulturverein „Hermes diCo-lored“ übergeben. Im neuen Schulgebäude fand auch die lokale staatliche Schule mit italienischer Unterrichtssprache Unterkunft, ansonsten dienen die Räume Lehrgängen für friulani-sche Sprache, Kultur und Geschichte. An der feierlichen Eröffnung dieser ersten f riulanischen, nach dem Linguisten und Volksdichter Josef Marchet benannten Schule nahmen auch Vertreter der Ladiner und Rätoromanen teil, die mit Friaul zur ladinjschen Sprachfamilie gehören.

Neben den Sarden (rund 1 Million) sind die Friauler (etwa 700.000) die stärkste nationale Minderheit Italiens. Interessanterweise wird das Interesse der Friauler für ihre Muttersprache mit dem wachsenden Sozialproblem größer. Tatsächlich ist ja Friaul eines der wirtschaftlich und investitionsmäßig rückständigsten Gebiete, mit den größten Auswanderungsquoten und Pendlerzahlen in Italien. Es mußte aber ein Erdbeben erleben, um mit seinen sozialen, kulturellen und ethnischen Fragen Gehör zu finden.

Schon einige Jahre erleben Poesie und Literatur „par furlan“ (auf friulanisch) eine neue Blüte. Friaul besaß im 17. Jahrhundert mit Hermes di Colo-red und im 19. mit Pietro Zorutti anerkannte Dichter, mußte aber im Faschismus eine fast totale Unterbindung der eigenständigen Literatur hinnehmen. Nach 1945 erlangten besonders Domenico Naldini und Pier Paolo Pasolini, letzterer als Filmregisseur, Berühmtheit. In der Diaspora, in Wien, lebt der aus Görz stammende Lyriker Franco de Gironcoli. Unter den Romanciers sind Dino Virgili, Domenico Zannier und der italienisch schreibende Carlo Sgorlon zu nennen.

Vor 900 Jahren -1077 - übergab Kaiser Heinrich IV. den neuen friulani-schen Patriarchenstaat dem Patriarchen von Aquileja. 1420 besetzte Venedig Friaul, behandelte es wie eine Kolonie, löste alte Kulturinstitutionen auf (etwa die Universität von Cividale) und errichtete neue Erzdiözesen in Udine und Görz. Das Friulanische wurde bald völlig verdrängt, hielt sich aber bis in die faschistische Zeit in den Kirchen als Predigtsprache.

Nach dem zweiten Vatikanum formierte sich eine Gruppe tatkräftiger Priester, deren Führer, Don Placerea-ni, die Evangelien direkt aus dem Griechischen „par furlan“ übersetzte. Außerdem veröffentlichte die Gruppe zwei friulanische Missale, von denen das zweite kein bischöfliches Imprimatur bekam, wohl aus Rücksicht auf den italienischen Staat

Die friulanische Kultur ist besonders durch Verstädterung und Ansied-lung reiner Italiener gefährdet. Die Großparteien haben kein Interesse an der Erhaltung friulanischer Tradition und Kultur, die junge autonomistische Partei „Movimento Friuli“ hat es wie die lokale slowenische Gruppe „Slo-venska skupnost“ sehr schwer, erreichte aber immerhin 1968 drei und 1973 trotz stärkster Gegenpropaganda zwei Abgeordnetensitze im Landtag. Die Gründung einer neuen Universität in Udine war ein echter Erfolg des „Movimento Friuli“, da Triest an seiner Monopolstellung nicht rütteln lassen wollte. Die Autonomisten fordern überhaupt die Trennung Friäuls vom Küstenland.

Die verschiedenen friulanischen Organisationen haben spezielle Ziele. Die philologische Gesellschaft „So-cietä Filologica Friulana“ bewegt nur friulanische Folklore, der Verein „Int Furlane“ sorgt sich um friulanische Sprache und Kultur, Vereinsmonatsblätter behandeln soziale Fragen, die politischen Blätter sind „Patrie dal Friül“ und „Friuli d'oggi“ (das Organ des „Movimento Friuli“), außerdem bestehen sehr rege Kulturvereine.

Mit dem wachsenden Streben nach kultureller, politischer und sprachlicher Autonomie werden sich in Zukunft auch die Großparteien befassen müssen, vor allem die herrschende Democrazia Cristiana, will sie ihre Positionen im Lande nicht verlieren.

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