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Muttersprache und Liturgie

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In einem entlegenen Dorf des Campidano, jenes verbrannten Flachlandes im Süden Sardiniens, wurde kürzlich die erste Messe in Sardisch zelebriert. In Villanovaforru, im alten Tempel aus dem 13. Jahrhundert, ertönte kein einziges Wort auf la- tein oder italienisch. Die überzeugte Beteiligung an der Meßfeier von fast 500 frommen Erzsarden war offensichtlich. Auf eine Frage wies der Pfarrer, Don Alviero Curreli, auf den Geist des II. Vatikanischen Konzils hin, das das Recht auf Gebrauch der eigenen Sprache in der Liturgie anerkannt hat, um den Menschen das liturgische Geschehen verständlicher zu machen. Nur wenige Wochen vorher hatte sich ein Student in Cagliari geweigert, bei einer Prüfung auf Fragen in italienisch zu antworten.

Am selben Sonntag wie jene Messe auf Sardinien, fand in der Basilika in

Aquüeja ebenfalls eine Meßfeier in der Sprache dieser Gegend statt. Da kündigte der eifrige Verfechter für die Unabhängigkeit Friauls, der 57 Jahre alte Professor für Philosophie in Udi- ne, Pre Checo Placereani, in seiner Predigt einen langen Kampf an. Seine

Bemühungen um die Pflege der furla- nischen Sprache und Kultur erscheinen jetzt als von ideologischen Fäden durchzogen, die vom Patriarchat von Aquileja über Luther und nun auch über Franz Joseph bis zu einem Paket für die Friulaner nach dem Beispiel des Südtirol-Pakets laufen.

Die Gleichzeitigkeit der beiden au- tonomistischen Messen war kein Zufall. Sie werden auch keine vorüber gehenden Erscheinungen bleiben. Für die Tatsache, daß es sich hier um zwei richtige Sprachen und nicht um Dialekte handelt, möge ein einfaches Beispiel gelten: Bei einer Messe auf wienerisch oder kärntnerisch würde es dem Beobachter wahrscheinlich noch schwerfallen, das Lächeln zu verhalten. Bei den Messen in Sardisch und Furlanisch lacht keiner. Die Menschen zeigten tiefere und allgemeine Anteilnahme.

Daß Rom selbst Sardinien und Friaul als Sonderfälle betrachtet, beweist die Tatsache, daß diesen beiden Regionen schon in den fünfziger Jahren die Autonomie - wie formal auch immer - gewährt wurde. Die Einrichtung der Regionen in Italien stammt hingegen erst von 1970, als die autonomen Regionen Sardinien, Sizilien, Aostatal, Trentino-Südtirol und Friaul-Julisch-Venetien schon seit über einem Jahrzehnt bestanden.

Abgesehen aber von der ethnischen und philologischen Problematik, ist dabei bemerkenswert, wie der Klerus dieser Länder den Anspruch erhebt, als Katalysator der regionalen Forderungen nach Schutz der Sprache und der Kultur zu fungieren. Im großen und ganzen denken die meisten Priester Friauls wie Pre Checo. Als kürzlich in Udine die Christen Friauls eine Tagung zum Thema „Wiederaufbau und Wiedergeburt“ veranstalteten, erklärte der Erzbischof von Udine, Battisti, er werde im Vatikan den Wunsch auf Einführung der furlani- schen Sprache in die Liturgie Vorbrin gen und dafür eintreten. Man distanzierte sich jedoch von deh versteckten Absichten von Placereani, der offenbar meint, zum Begriff „Wiederaufbau Friauls“ gehöre auch die Autonomie der Kirche des Landes.

Meldungen, wonach der Vatikan derartige Meßfeiem in der „Muttersprache“ verboten habe, sind falsch. Es lag hingegen eine Empfehlung vor, damit vorsichtig umzugehen. Man könne sich über einen erneuerten Sinn für Liturgie nur freuen, man könne jedoch von der Kirche nicht verlangen, daß sie radikale Autonomisten dem italienischen Staat gegenüber unterstütze, indem sie Sprachminderheiten festlegt und offiziell anerkennt. Das Endziel des Pluralismus in einer tiefen Einheit (II. Vat.) erreicht man aber sicherlich nicht durch einseitige und provokatorische Stellungnahmen.

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