Seinesgleichen geschieht wieder als Buch

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Armin Thurnher hat seiner Reihe an Österreich-Essays einen weiteren Stoßseufzer hinzugefügt: "Ach, Österreich!". Er enthält die bereits bekannten Thurnher'schen Topoi, plädiert für die "Neuerfindung des Sozialismus", preist das rote Wien - und sorgt sich um die ÖVP.

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Armin Thurnher hat seiner Reihe an Österreich-Essays einen weiteren Stoßseufzer hinzugefügt: "Ach, Österreich!". Er enthält die bereits bekannten Thurnher'schen Topoi, plädiert für die "Neuerfindung des Sozialismus", preist das rote Wien - und sorgt sich um die ÖVP.

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Gleich eingangs bekennt der Autor, ein Wiederholungstäter zu sein, einer, der immer wieder rückfällig wird: In jedem seiner Österreich-Bücher habe er versprochen, dieses sei das letzte - und dann sei doch noch ein weiteres erschienen. Geschenkt, so geht es uns Journalisten ja allen: Irgendwie schreibt ein jeder von uns an dem einen großen Leitartikel; oder vielleicht sollte man besser sagen: webt an dem ultimativen Text, der sich, so die Hoffnung, zum Kontext fügen möge. Und manche - wie Armin Thurnher -schreiben eben auch noch Bücher. Die lesen sich dann naheliegender Weise auch wie ein großer Leitartikel. Das gilt hier in besonderer Weise, hat der Herausgeber und Gründer der Wochenzeitung Falter doch seine ganz eigene Form des Leitartikels entwickelt: eine Art wöchentlicher Tour d'Horizon zur Lage der Nation. Im Prinzip könnte über (fast jedem) Thurnher-Leitartikel der Titel seines neuen Buches stehen: "Ach, Österreich!", offenkundig Hans Magnus Enzensbergers bereits aus 1987 stammendem Stoßseufzer "Ach Europa!" nachempfunden. Seinesgleichen geschieht (so der Titel der Kolumne), Mittwoch für Mittwoch.

Demokratie als Sozial-Demokratie

Das große Thema Thurnhers ist die seiner Ansicht nach devastierte österreichische Öffentlichkeit, das, was er in immer neuen Anläufen als unheilige Allianz von Boulevard und Rechtspopulismus kritisiert: Begriffe wie "Fellnerismus" oder "Feschismus" hat er im Lauf der Jahrzehnte dafür kreiert. Thurnher ist ein glänzender Stilist, gewiss einer der besten Schreiber des Landes, und seine Analysen treffen oft einen Nerv. Das Bild von Österreich, an dem er in einer Art work in progress zeichnet, dient freilich nicht zuletzt als Negativfolie, vor der sich Seinesgleichen umso lichtvoller abhebt. Seinesgleichen, das ist, was sich gerne selbst als das "andere"(natürlich gemeint: das bessere) Österreich bezeichnet, das, was man das juste milieu des politisch korrekten öffentlichen Diskurses nennen könnte.

Zu dessen zentralen Merkmalen gehört eine Art selbstverständlicher Verschiebung des politischen Koordinatensystems: Man reklamiert für sich die Mitte - und weist allem anderen das rechte Eck zu. Da wird dann beispielsweise ein weit links Stehender wie Claus Peymann als "linksbürgerlich" (Hervorhebung RM) apostrophiert. Demokratie wird unter der Hand mit Sozial-Demokratie (nicht unbedingt im parteipolitischen, aber im ideologischen Sinn) gleichgesetzt - als Remedium wider das "Gift der neoliberalen Denkungsart".

Als guter Bürgerlicher oder Konservativer gilt, wer sich der linken Hegemonie nicht widersetzt beziehungsweise der Linken den Machterhalt zu sichern bereit ist. Das ist das, was Thurnher &Co. unter "Wettbewerb der politischen Modelle von sozialdemokratisch und christlichkonservativ" (im aktuellen Falter) verstehen: Es gewinnt immer die SPÖ, und solange es sich mit den Grünen nicht für eine Mehrheit ausgeht, ist man dankbar für die Orientierungslosigkeit der ÖVP.

Lockrufe an die ÖVP

Um diese bei Laune zu halten, ruft man ihr aufmunternd Sätze zu, wie: "Ein moderner, christlichsozial akzentuierter Kapitalismus (was immer das ist)[sic!] könnte mehr Zulauf haben als eine postfeudale Partei " Oder man erinnert an den Papst, der "der Kirche ein sozialeres, antikapitalistisches und ökologisches Profil gibt" und knüpft daran die Frage: "juckt so etwas eine katholische Partei in Österreich gar nicht?"

Nocheinmal: Armin Thurnher trägt all das in stilistischer Brillanz und intellektueller Schärfe vor. Er ist damit die publizistische Speerspitze dessen, was er selbst immer wieder, auch in diesem Buch, die "Neuerfindung des Sozialismus" nennt (die er offenbar im "milden Sozialismus" des roten Wien ansatzweise realisiert sieht ). Für soviel Offenheit muss man dankbar sein, auch und gerade wenn man kein Anhänger des "milden Sozialismus" ist.

Ach, Österreich!

Europäische Lektionen aus der Alpenrepublik

Von Armin Thurnher

Zsolnay 2016, 176 S., € 16,50

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