Der amerikanische Alptraum

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Die Neue Oper Wien widmet sich im Besonderen der Moderne, zuletzt mit zwei Stücken von Schönberg und Bernstein.

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Die Neue Oper Wien widmet sich im Besonderen der Moderne, zuletzt mit zwei Stücken von Schönberg und Bernstein.

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Ich möchte betroffen machen, berühren, amüsieren, hineinhören in die Zeit," erklärt Walter Kobera, der Leiter der "Neuen Oper Wien." Die Gattung Oper scheint ihm dafür genau das richtige Genre: nirgends sonst greifen Text, Musik, Schauspiel und Inszenierung auf derart umfassende Weise ineinander. Seit 1990 bemüht er sich, der ehrwürdigen Gattung durch neuartige Interpretationen Leben jenseits des Repertoirebetriebs einzuhauchen. "Die Sinnlichkeit der Oper ist mir wichtig", betont er. "Der Zeitgeist allein kann's nicht sein, und die politische Aktualität auch nicht."

So läßt sich auch erklären, daß moderne Lesarten von Mozarts "Idomeneo" im Spielplan genauso Platz gefunden haben wie Brechts "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny". Partituren sind Kobera allerdings heilig, er kommt ohne Bearbeitungen und Abänderungen des Originals aus. Er versucht, aktuelle gesellschaftliche Tendenzen aufzuspüren und danach ein Musikstück auszuwählen. So inspirierte ihn für die erfolgreiche Uraufführung der Oper "Marco Polo" von Tan Dun im heurigen Frühjahr die Faszination vieler Medien für Buddhismus und Fernreisen dazu, dem esoterischen einen klanglichen Erfahrungstrip gegenüberzustellen.

Besonders stolz ist Kobera auch, wenn er Klassiker entstauben kann. So legte er im Juli 1997 den tiefen Sarkasmus und abgrundtief bösen Witz in Strauß' "Fledermaus" frei. "Wir konnten da wirklich an eine heilige Kuh anecken. So provokant wie unsere ,Fledermaus' war keine", freut er sich noch heute über die Produktion.

Besonderes Augenmerk der "Neuen Oper Wien" gilt auch der Verbreitung der Moderne. Zwölfton, serielle und atonale Musikstücke gehören genauso zu ihrem Repertoire wie Uraufführungen und Neuinterpretationen. "Wir müssen die Phantasie und die Emotion des Zusehers ansprechen," bringt Kobera das weite Spektrum auf einen gemeinsamen Nenner.

Tanzen, spielen und der richtige Umgang mit Raum und Licht gehören genauso für ihn zu einer lebendigen Aufführung ebenso wie eine gute Stimme. In der neuesten Produktion ist das harmonische Zusammenspiel von Raum, Licht, Musik und Schauspiel geglückt. Arnold Schönbergs "Von heute auf morgen" und Leonard Bernsteins "Trouble in Tahiti" präsentieren sich humorvoll und spritzig. Das Amadeus Ensemble besticht mit Big Band Sound zu Bernstein, Priti Coles als verführerische Ehefrau ist ein temperamentvolles Charmebündel, das in Schönbergs Studie einer bürgerlichen Ehe den mit dem Flirt liebäugelnden Gatten Steven Scheschareg ziemlich dumm aussehen läßt. Mögen Bernsteins american Alptraum und Schönbergs Ode an die Familie auf den ersten Blick auch verstaubt aussehen, belegen der aktuelle Wahlkampf und der Film "Eyes Wide Shut" doch ihre Aktualität. Sinnlicher als Wahlgang und Kino ist ein Abend in der "Neuen Oper" im wundervollen Raum des Odeon allemal.

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