Die Sonne lachte nicht mehr

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Die Erinnerungen der ehemaligen US-Außenministerin Albright sind vor allem ein Gedenken für ihre von den Nazis ermordeten Verwandten.

Sie war die erste Außenministerin der USA. Bevor sie jedoch dieses Amt 1997 antrat, wurde sie mit einer Entdeckung konfrontiert, wie sie in dieser Zufälligkeit wohl nur im geschichtsvergessenen Amerika vorstellbar ist: Die Washington Post hatte ihre jüdische Herkunft ausfindig gemacht - und damit auch das Verschwinden von über zwei Dutzend ihrer Verwandten in den Todeslagern der Nazis.

Die 59-jährige UN-Botschafterin Madeleine Albright hatte davon bislang nichts gewusst. In der tschechischen Diplomatenfamilie Körbel, in die sie 1937 in Prag als Madlenka Körbelová hineingeboren wurde, war nie darüber gesprochen worden. Der Vater Josef Körbel, der 1939 als Mitglied der Exilregierung von Edvard Beneˇs und persönlicher Assistent von Außenminister Jan Masaryk mit seiner Familie aus politischen Gründen nach London emigriert war, hatte seinen drei Kindern, die katholisch getauft wurden, stets ihr Judentum verschwiegen.

Wollte er seine Nachkommen schonen? Und weshalb hat seine Tochter, die hohe Diplomatin, nie Fragen nach dem Tod so vieler Angehörigen gestellt?

Kinderzeichnungen aus dem Ghetto

Um einer Antwort näherzukommen, hat Madeleine Albright das Erinnerungsbuch "Winter in Prag“ geschrieben. Und weil die Autorin auch das Schicksal ihrer früheren Heimat Tschechoslowakei im Jahrzehnt seit ihrem Geburtsjahr erkunden wollte, liefert sie eine politische Geschichte des Landes zwischen 1937 und 1948 gleich mit. Das Buch ist - nicht nur, aber vor allem - ein Gedenken für die ermordeten Verwandten. Darunter waren drei ihrer Großeltern. Besonders tragisch ist der Fall von Albrights 12-jähriger Cousine Milena Deimlová, die vor ihrer Ermordung unzählige Zeichnungen im Ghetto zurückließ. Die nach der Befreiung des Ghettos in Koffern gefundenen Kinderzeichnungen sind heute teilweise im Jüdischen Museum in Prag ausgestellt.

Im Nachgeben der westlichen Mächte gegenüber Hitlers Aggressionen sieht die ehemalige amerikanische Außenministerin das Fanal einer falschen politischen Wehrlosigkeit. Die Lehren der fehlgeschlagenen Abwiegelungspolitik vor 1939 haben sie später als US-Außenministerin offenbar dazu bewogen, in den Kosovokonflikt militärisch einzugreifen.

Die Einschätzung des Vaters aus der Exilzeit bestimmt noch heute maßgeblich ihr Bild von Edvard Beneˇs, dem umstrittenen tschechoslowakischen Präsidenten vor und nach dem Krieg. "Die Tschechen müssen heraus aus Mitteleuropa“, hatte Hitler gefordert. "Unser Volk“, erklärte Beneˇs bei Kriegsende, "kann nicht länger mit den Deutschen im selben Land leben.“ So kam es zur kollektiven Vertreibung von neunzig Prozent aller Deutschstämmigen in der Tschechoslowakei nach 1945.

Albright ist bei der Einschätzung von dessen Vertreibungspolitik spürbar um Ausgewogenheit bemüht: "Von klein auf bekam ich mit, wie schrecklich die Deutschen waren. Aber bei der Recherche zu meinem Buch erfuhr ich bestürzt, wie brutal auch die Tschechen nach dem Krieg zu den Deutschen waren. Rache mag zwar ein sehr natürliches Gefühl sein, aber manche Dinge, die damals geschahen, waren wirklich schrecklich. Menschen wurden bei lebendigem Leib verbrannt, in Flüssen ertränkt und natürlich aus dem Sudetenland nach Deutschland vertrieben.“

Politischer Kälteschock

Umdüstert ist Albrights Bild von Beneˇs vor allem durch dessen spätere Nachgiebigkeit gegenüber der Sowjetunion. Die mutmaßliche Ermordung des Außenministers Jan Masaryk durch Stalins Schergen wenige Tage später war da nur mehr das furchterregende Vorzeichen eines erneuten politischen Kälteschocks, der dem Land einen jahrzehntelangen "Winter in Prag“ bescherte.

Die Familie Körbel emigrierte 1948 erneut, diesmal in die USA, wo die Autorin 1957 amerikanische Staatsbürgerin wurde. Ihr Freund Václav Havel hatte sie, die auch die tschechische Staatsangehörigkeit besitzt, 2002 als seine Nachfolgerin für die Prager Burg vorgeschlagen: eine Idee, der sie, wenngleich geehrt, als politische Realistin nicht nähertreten konnte.

Winter in Prag

Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg

Von Madeleine Albright. Siedler Verlag 2013. 544 S., geb., € 25,60

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