Ein Begriff mit enormer Klangfülle

Werbung
Werbung
Werbung

Die Rede von der Menschenwürde wird heute zunehmend in Frage gestellt. Heiner Bielefeldt plädiert dafür, sich keineswegs davon zu verabschieden.

Er ist ein führender Theoretiker der Menschenrechte. Soeben ist sein Buch "Auslaufmodell Menschenwürde?“ erschienen. Die FURCHE sprach darüber mit Heiner Bielefeldt.

Die Furche: In der Diskussion um Sterbehilfe wird oft die Menschenwürde angeführt: Man soll in Würde sterben können. Das gilt dann als Argument für die Sterbehilfe.

Heiner Bielefeldt: Die Formel "in Würde sterben“ ist zweideutig. Darunter kann man verstehen, dass auch im Sterbeprozess der Mensch ein Subjekt von Würde ist, also Anrecht auf Respekt hat sowie auf Respektierung seines Willens - er soll also nicht nur Objekt von Hilfeleistung oder medizinsicher Apparate sein. Menschenwürdig sterben kann aber auch verstanden werden, als gäbe es so etwas wie einen in der Menschenwürde begründeten Anspruch auf Freitod. Aber Menschenwürde ernst nehmen heißt gerade, dass der Mensch kein völliges Verfügungsrecht über sich selbst hat. Menschenwürde beinhaltet, dass der Mensch auch sich selbst respektiert und sein eigenes Leben nicht wegwirft. Sie ist nicht als Freibrief für Selbsttötung zu verstehen.

Die Furche: Sie argumentieren hier nicht religiös.

Bielefeldt: Die religiösen Begründungen sind in unseren kulturellen Kontexten sehr präsent, etwa das Leben als Geschenk Gottes. Das spielt auch für die historische Begründung der Menschenrechte eine wichtige Rolle. John Locke hat seine "unveräußerlichen“ Rechte genau damit begründet. Leben ist ein Geschenk Gottes, auch die Freiheit, der Mensch darf sie nicht einfach wegwerfen. Man kann aber auch säkular von Immanuel Kant herkommen und sagen: Der Mensch muss sich als Verantwortungssubjekt ernst nehmen und darf von daher sein Leben nicht wegwerfen. Auch aus einer säkularen Perspektive kommt man dann zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie aus der gängigeren religiösen Sprache heraus.

Die Furche: In ihrem neuen Buch beklagen Sie, dass der Begriff der Menschenwürde gesellschaftspolitisch immer weniger präsent ist.

Bielefeldt: Es gibt geradezu ein Unbehagen im Umgang damit. Es mehren sich Stimmen, die sagen: Was soll denn die Menschenwürde überhaupt? Ist das nicht eine leere Formel, unter der man alles Mögliche subsumieren und in die man sehr viel Pathos hineinprojizieren kann? Das sind skeptische Anfragen. Meine Antwort dazu lautet: Wir können auf den Begriff der Menschenwürde nicht verzichten - auch nicht auf seinen hohen begründenden Stellenwert für Recht und Moral. Aber wir müssen ihn auch klären: Was kann denn damit sinnvoll gemeint sein.

Die Furche: Was wäre zu klären?

Bielefeldt: Etwa wie denn das Verhältnis der Menschenwürde zu konkreten Grundrechten ist. Ist der Respekt der Menschenwürde ein Grundrecht neben anderen - wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Privatleben. Die Menschenwürde hat eine dem vorrangige Begründungsdimension. Dann auch die Frage, wie soll man sich die Menschenwürde eigentlich vorstellen? Ist sie ein Bestandteil des Lebens, eine "angeborene“ Würde, eine Eigenschaft oder ist es eine Statusposition, die sich Menschen wechselseitig zusprechen. Meine Position lautet: Sie ist weder das eine noch das andere.

Die Furche: Wenn Grundrechte in Widerspruch zueinander geraten - etwa die Religionsfreiheit zu anderen Rechten - wenn die Unversehrtheit einer Frau von einer Religion bestritten würde: Wäre da die Menschenwürde das höhere Gut?

Bielefeldt: Auch die Religionsfreiheit hat mit der Menschenwürde zu tun. Es ist nicht so, dass, sobald man die Menschenwürde ins Spiel bringt, solche Entscheidungen schon getroffen wären. Das macht es in unserer Rechtsordnung so schwierig, weil wir da auch mit kollidierenden Ansprüchen konfrontiert werden, die plausiblerweise jeweils mit der Menschenwürde zu tun haben. Niemand soll sagen, die Religionsfreiheit sei ohne Menschenwürde zu denken. Aber es gibt Ausübungen von Religionsfreiheit, die mit Geschlechtergerechtigkeit in Kollision geraten. Die Menschenwürde ist hier in beiden Fällen involviert, sie kann nicht Entscheidungsprinzip sein. Man benötigt da weitere Kriterien.Die Furche: Auch die Menschenrechte sind ohne Menschenwürde nicht argumentierbar.

Bielefeldt: Ja. Und das ist nicht meine Privatmeinung. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 spricht schon in der Präambel von "Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde“. Das ist die Prämisse schlechthin. Auf dieser Basis versuchen wir dann, menschenrechtliche Streitfragen zu klären. Deshalb kann man den Anspruch der Menschenrechte, auch das dahinterstehende moralische Pathos, nicht wirklich verstehen ohne Bezugnahme auf den tragenden Grund: die Würde jedes Menschen.

Die Furche: In der Diskussion zwischen westlichen und islamischen Denkweisen kommt das immer wieder aufs Tapet. Gibt es in der Frage der Menschenwürde einen Konsens zwischen dem Westen und der islamischen Welt?

Bielefeldt: Man sollte nicht vorschnell behaupten, dass das auch gelingt, aber man sollte sich das jedenfalls vornehmen. Die Menschenwürde ist ein Begriff, der in unterschiedlichen Traditionen einen Klang entfalten kann. Im christlichen und im jüdischen Kontext denkt man da an die Idee der Gottebenbildlichkeit, im islamischen Kontext würden manche an die Aussage im Koran denken, wo es heißt: "Gott hat dem Menschen einen Rang gegeben als Stellvertreter“ - das klingt ähnlich. Aber man kann dann auch im säkularen Kontext, mit Kant oder heute etwa mit Jürgen Habermas die Menschenwürde mit Sinn erfüllen. Es ist ein Begriff, der eine enorme Klangfülle in unterschiedlichen Kontexten aufweist. .

Auslaufmodell Menschenwürde?

Warum sie in Frage steht und warum wir sie verteidigen müssen.

Von Heiner Bielefeldt. Herder 2011

180 Seiten, geb., e 18,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung