Neue Gefahr für unsere Würde

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Schutz der Menschenwürde als Grundlage politischen Handelns? Juristen und Ethiker sehen einen großen Bedarf an Entscheidungen.

Die Menschenwürde ist der zentrale Wert, auf dem unser Staat und unsere Gesellschaft gründen. In diesem Postulat, formuliert vom früheren Präsidenten des Verfassungsgerichtshof, Karl Korinek, sind sich die Rechtswissenschafter seit Langem einig. Weil es aber zu wenig an Einigkeit darüber gibt, wie den neuen Gefährdungen der Menschenwürde zu begegnen sei, lud der Katholische Laienrat Österreich gemeinsam mit dem Zweiten Präsidenten des Nationalrates, Fritz Neugebauer, vor wenigen Wochen zu einer kleinen, feinen Tagung in das Parlament. Thema: „Schutz der Menschenwürde in Österreich“.

Ein Befund vorweg: Menschenrechte und Menschenwürde sind in den Konventionen der UNO und des Europarates sowie in nationalen Verfassungen und der Grundrechte-Charta der EU verankert – aber das reicht nicht aus, um sie innerhalb der Rechtssystematik vollständig und vor dem Hintergrund neuer medizinischer und technischer Entwicklung aktuell zu schützen. Ganz im Gegenteil: Der Verfassungsjurist Karl Korinek, der Ethiker Günter Virt und der Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal sehen einige Ansatzpunkte, wo Politik und Gesetzgebung aktiv zu werden hätten.

Jüdisch-christliche Wurzel der Würde

Ihre Wurzel hat die Menschenwürde in der vom jüdisch-christlichen Menschenbild geprägten Kultur der Lehre von der Gottes-ebenbildlichkeit des Menschen, wie Korinek es ausdrückte. Ihre Ausformung in den heute geltenden Konventionen und Gesetzen erhielten die Menschenrechte und damit die Menschenwürde jedoch erst nach 1945: Das war die richtige Antwort auf den Nationalsozialismus und die Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Die Menschenwürde ist, wie Korinek den früheren deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog zitierend meinte, „das eigentliche Fundament der Grundrechte“. Doch die aktuellen Gefährdungen der Menschenwürde reichten von Sterbehilfe über Stammzellenforschung bis zur Entblößung des Privaten im Internet.

Konkret stellt Korinek die Frage nach den aus der Menschenwürde abzuleitenden Grenzen für die „Machbarkeit des Menschen“. Er bezog sich dabei, wie auch Neugebauer, auf eine kürzlich ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Dieser hatte zwei Ehepaaren Entschädigungen zugesprochen, da Österreichs Gesetze ihnen die Samenspende eines Dritten im Zuge einer künstlichen Befruchtung untersagen. Dieses gesetzliche Verbot sei ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Familie, erkannte der Gerichtshof. Korinek hingegen meinte, das Prinzip der Menschenwürde würde der Gesetzgebung zur In-vitro-Fertilisation Grenzen ziehen. Selbst wenn er, Korinek, nicht behaupte, die Befürworter einer großzügigen Erlaubnis zu künstlicher Befruchtung hätten Ziele wie jene des NS-Vereines „Lebensborn“ im Sinne. Dennoch seien gerade bei der künstliche Befruchtung alle möglichen Folgen, auch die unbeabsichtigten, kritisch zu würdigen.

Heikle Entscheidung an den Lebensrändern

Die schwierigen ethischen Fragestellungen entstehen nicht zuletzt ursächlich des medizinischen Fortschritts an den Lebensrändern, also am Beginn und am Ende menschlichen Lebens. Eindringlich ersuchte der Ethiker Günter Virt bei der Tagung daher den Gesetzgeber, die menschenrechtlich verbindliche Biomedizin-Konvention des Europarates, die Österreich bereits unterzeichnet hat, auch zu ratifizieren (siehe dazu Seite 22). Und weil auf dem Gebiet der Palliativmedizin zwar schon einiges, aber noch nichts deklariert in der Bundesverfassung geregelt sei, drängen sowohl Virt als auch die ÖVP auf ein Verbot der Tötung auf Verlangen im Verfassungsrang (Seite 22). Aber die aktuellen Herausforderungen an Ethik und Menschenwürde gehen nicht nur von der Medizin, sondern auch von der Technik aus.

Wie weit sei es mit der Menschenwürde vereinbar, fragte Korinek weiter, wenn sich Menschen bei allen möglichen Gelegenheiten filmen lassen müssten? Beim Straßenverkehr, bei der Benützung von Verkehrsmitteln, bei Geldgeschäften oder wenn sie ins Theater gingen? Oder wenn sie sich filmen lassen (müssten), wenn sie einfach zu Hause seien, im Garten – „und dann noch befürchten müssen, dass das aufgenommene Material im Internet verbreitet wird“. Die Antwort auf die Fragen nach der Zulässigkeit von Google Street View fiel bei Korinek eindeutig aus: „Für das, was wir hier derzeit mit den Google-Aktionen erleben, gibt es nicht einmal den entferntesten sicherheitspolitischen Rechtfertigungsgrund, ganz im Gegenteil. Für mich hat das auch etwas mit Menschenwürde zu tun.“ Die Politik sei gefordert: „Ich würde etwa eine Verpflichtung zum gesetzgeberischen Tätigwerden bei den laufenden ‚Google-Aktionen‘ annehmen.“

Menschenwürde ist der Fixpunkt

Das Wesen der Ethik bestätigt im Umkehrschluss den Befund, dass es die skizzierten medizinischen und technischen Neuerungen sind, welche die Debatten um Werte und um Menschenwürde auslösen: „Die Ethik ist ein Krisenphänomen“, sagte Günter Virt, „von den Tagen des Aristoteles bis heute.“ Immer, wenn die Moral, verstanden als eine Gesamtheit von Regeln und Einstellungen, aus denen heraus routinehaft gehandelt werde, in die Krise gerate, werde der Ruf nach einer systematischen Reflexion auf diese Moral laut. Und zu den Ursachen dafür meinte Virt: „Diese Krise der Moral kann durch ein Übermaß an Unmoral, durch neu auftretende Probleme, für welche die herkömmliche Moral keine Lösung bereithält, oder durch eine Konkurrenz der Moralen in der pluralistischen Gesellschaft hervorgerufen werden.“

Man ist geneigt, nahezu jede dieser Erklärungen für zutreffend zu halten, wobei Virt auch den Weg zur Antwort auf die daraus resultierenden Fragen nach der Moral aufzeigt: „Menschenwürde ist die Voraussetzung für ethische Güterabwägung und nicht deren Gegenstand.“ Auch darin ist dem Ethiker Günter Virt zuzustimmen.

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