Bereit sein zu widersprechen

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Die Öffentliche Debatte über die Biotechnik bietet Kirchen die Chance, ihre Anliegen einzubringen. Das heißt nicht, alles abzusegnen, was beschlossen wird.

Österreich und Deutschland haben auf die Herausforderungen durch die Gentechnik mit der Errichtung von Ethikkommissionen reagiert. Haben diese Kommissionen Handlungs- und Entscheidungsspielraum oder geht es lediglich um die offizielle Sanktionierung von Entscheidungen politischer oder wirtschaftlicher Lobbys?

Eberhard Schockenhoff: In Österreich und Deutschland ist eine breite und öffentliche Debatte im Gang. Das bietet auch der Moraltheologie die Chance der öffentlichen Rechenschaftsabgabe für lebenswichtige Schlüsselfragen der Zukunftsbewältigung. Die Kirchen können in diesen Gremien auch ihren Dissens artikulieren und sind beteiligt an einem demokratischen Entscheidungsfindungsprozess, auch wenn sie sich kritisch verhalten.

In Zukunft müssen die Kirchen stärker als bisher verbleibende Dissense deutlich machen und aufzeigen, wo sie dem von der Politik gefundenen Kompromiss nicht zustimmen können. Die Ethik kann nicht die Aufgabe haben diese von der Politik gewollten Kompromisse dann auf ihre ethische Vertretbarkeit hin abzusegnen. Diese Aufgabe ist uns vielleicht zugedacht, aber diesen Schuh dürfen wir nicht anziehen. Da müssen wir uns dann auch den Wünschen der Politik verweigern.

Der amerikanische Genforscher Watson hält den Beitrag der Kirchen in der Gendebatte mit dem Hinweis für entbehrlich, die Gesellschaft stehe sich in ihrer Entwicklung selbst im Weg, wenn sie sich mit religiösen Argumenten aufhält.

Schockenhoff: Die Religion enthält ein Wissen über den Menschen, das sich in unzähligen Generationen bewährt hat. Wollte man auf dieses Reservoir an bewährten Einsichten bei den Versuchen Zukunft zu bewältigen, von vornherein verzichten, so würde man sich von einer ganzen großen Tradition, auch des philosophisch-religiösen Fragens, selbst abschneiden. Man würde den Weg in die Zukunft vielleicht mit leichterem Marschgepäck antreten, aber zugleich wäre die Gefahr, dass man in die falsche Richtung steuert, ungleich größer. Die Wissenschaft hat zwar eine ungeheure Fähigkeit, technisch-wissenschaftliche Probleme zu erklären, sie kann aber die Fragen nach dem Sinn, nach Richtung und humaner Vernünftigkeit von Entwicklungen nicht allein beantworten. Das geht nur im Zusammenspiel von Wissenschaft auf der einen und Ethik und Moral auf der anderen Seite. Die Wissenschaft bedarf einer öffentlichen Gegeninstanz, auch um die Durchsetzung persönlicher oder wirtschaftlicher Interessen im Diskurs transparent zu machen.

Was können die christlichen Kirchen in die Gentechnikdiskussion einbringen?

Schockenhoff: Sie können zu einer rationalen und ausgewogenen Diskussion der Chancen und Risiken von ethnischen Grenzen der Gentechnik anhalten. Es wäre grundfalsch und auch nicht durch den christlichen Schöpfungsglauben nahegelegt, die Gentechnik mit all ihren Möglichkeiten zu verteufeln. Grundsätzlich sind Eingriffe in die Natur notwendig und legitim, wie zum Beispiel der Versuch, Krankheiten zu heilen und Umweltkatastrophen durch den Einsatz von Technik und Wissenschaft zu verhindern. Tradition und Aufklärung sind keine Gegensatzpaare, sondern hier steht die Religion an der Seite der Aufklärung. Zu einem ausgewogenen Urteil gehört aber auch die Bereitschaft, ethische Grenzen zu respektieren, die uns gerade durch das von Christentum und Aufklärung gemeinsam geprägte Menschenbild gegeben sind, zum Beispiel die Grenze der Menschenwürde, das Verbot, menschliches Leben zu instrumentalisieren, um es anderen Zwecken zu opfern. Hier ist eine ganz klare Grenzziehung zu allen Formen der verbrauchenden Embryonenforschung und auch zum sogenannten Therapeutischen Klonen zu ziehen. Darauf hinzuweisen ist Aufgabe des Christentums und der Theologie als rationale Vernunftform. Gentechnischer Fortschritt wird nur dann zu einem umfassenden Wohl für die Menschen, wenn ethische Prinzipien eingehalten werden. Die Kirchen sind ein Anwalt des Menschen und seines umfassend verstandenen Wohlergehens. Daraus erwächst dann auch die kritische Funktion, auch auf die ambivalenten Folgen des Fortschritts aufmerksam zu machen.

Das vom Christentum geprägte Menschenbild begründet die Menschenwürde mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Wie kann dieses in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft buchstabiert werden?

Schockenhoff: Die jüdisch-christliche Tradition mit ihrer Offenbarungsgeschichte, in deren Zentrum der Mensch als Ebenbild Gottes steht, war eine der entscheidenden Wurzeln auch für das neuzeitliche Menschenrechtsethos. Aus christlicher Sicht gründet die Menschenwürde, die Tatsache, dass jeder Mensch Träger unveräußerlicher Rechte ist, in seinem Angerufensein von Gott, in der Gottesebenbildlichkeit und in der Tatsache, dass ihm die Verantwortung für die Schöpfung aufgetragen ist. Das alles hebt aber die natürliche Geltung der Menschenwürde nicht auf. Die Rede von der Menschenwürde ist logisch unabhängig von der christlichen Offenbarung, auch wenn der jüdisch-christliche Glaube ein ganz entscheidender Impuls dazu war. Er ist neben anderen einer der entscheidenden Faktoren für die Entwicklung des neuzeitlichen Menschenrechts und hat sich auch im säkularen Raum entfaltet. In einer

demokratisch-pluralistischen Gesellschaft steht deshalb zu Recht die Anerkennung der Menschenwürde als oberstes Achtungsgebot der gesamten Rechtsordnung voran.

Das Gespräch führte Matthias Kapeller. Es ist ein Auszug aus einem Interview im Jahrbuch der Diözese Gurk 2002, dessen Schwerpunkt-Thema "Gentechnik und christliches Menschenbild" lautet. Siehe auch: www.kath-kirche-kaernten.at

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