Ein Exzess der theatralen Mittel

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Thiemo Strutzenbergers "Hunde Gottes", uraufgeführt am Schauspielhaus Wien, ist herausfordernde Unterhaltung. Dabei bedient sich der Autor bei aus dem Familienmelodram bekannten Handlungsmotiven.

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Thiemo Strutzenbergers "Hunde Gottes", uraufgeführt am Schauspielhaus Wien, ist herausfordernde Unterhaltung. Dabei bedient sich der Autor bei aus dem Familienmelodram bekannten Handlungsmotiven.

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Der zweiunddreißig Jahre junge Oberösterreicher Thiemo Strutzenberger ist dem Schauspielhaus-Publikum sowohl als Schauspieler wie auch als Autor bekannt. Der seit 2010 dem Ensemble angehörige Autor ist am Haus in der Porzellangasse schon mit "The Zofen Suicides" als eine Folge der Serie "Die X Gebote" und im November letzten Jahres mit "Queen Recluse" in Erscheinung getreten, einer Auseinandersetzung mit der Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die klassische Rollenzuschreibung aufbegehrenden amerikanischen Dichterin Emily Dickinson.

Auch in seinem neuesten abendfüllenden Stück "Hunde Gottes" thematisiert Strutzenberger, der einen Master in Gender Studies besitzt, Themen, die um gesellschaftliche Zwänge, Moralvorstellungen, Identität sowie soziale und geschlechtliche Rollenzuschreibungen kreisen. Als inhaltliche wie stilistische Folie dient ihm dafür das amerikanische Filmmelodram der 1950er-Jahre.

Das facettenreiche Stück ist wesentlich eine Überschreibung der melodramatischen Filme "All that Heaven Allows","Written on the Wind" und "Imitation of Life" von Douglas Sirk, die er einerseits mit der florentinischen Renaissance verschmelzt (!) und andererseits immer wieder durch seinen theoretischen Furor, der stark an den des René Pollesch erinnert, unterbricht.

Die Schauspielerin Betty (herausragend spielt Katja Jung deren Unbehaustheit) offenbart ihrem Sohn, dass der Vater nicht ihr Ehemann, der Architekt Dante Alighieri, sondern in Wahrheit der Gärtner Mr. Deagan sei, was Leonardo wiederum nicht akzeptieren will, weil "es ein Fluch ist, der Sohn eines Gärtners zu sein" und das Weite sucht. Weil Leonardo mehr buchstäblich als im übertragenen Sinne "von ihm gegangen" ist, fällt Dante in tiefe Trauer. Um dieser die nötige Ernsthaftigkeit und einen kongruenten Ausdruck zu geben, tritt er fortan nur noch als italienische Witwe auf, was Steffen Höld zu einem bemerkenswerten Auftritt macht.

Geschickter Autor, intelligente Regie

Deagan selbst hat eine Tochter, Laura, ein gefallenes Mädchen, das alles tut, um in die Bourgeoisie aufzusteigen und sich dem Baulöwen Francesco Petrarca an den Hals schmeißt: "Du bist zu mir gekommen, mir zu geben was ich nicht will und ich habe es mir genommen".

Ebenso geschickt wie der Autor, der sich bei den aus dem Familienmelodram bekannten Handlungsmotiven bedient, ist die intelligente Regie von Barbara Weber. Stets ist sie darum bemüht, für die Formensprache des Melodrams einen adäquaten Bühnenausdruck zu finden, ohne je dem Irrtum zu erliegen, dass das auch tatsächlich gelingen könnte. Den für das Genre so zentralen Begriff des Exzesses inszeniert sie als Exzess der theatralen Mittel mit viel Theaterdonner, Blitz und Nebel. Auf das für das Genre so wichtige stilistische Merkmal der Großaufnahme muss sie verzichten. Seelische Vorgänge und Gefühle, gesteigerte Emotionen, Sentimentalität überträgt Weber stattdessen einerseits auf die Schauspieler, die ostentativ zwischen Pathos und Ironie changieren, und andererseits in die Bildkomposition der Bühne. Hier werden Konflikte vergrößert, metaphorisch markiert und mit unterschwelligen Botschaften angereichert. Zudem unterlegt sie die ganze Inszenierung mit Musik, die hier allerdings mehr Reminiszenz an das Melodram ist, als dass sie, wie dort, die dramatischen Akzente und affektive Wirkung des Geschehens verstärkt.

Hunde Gottes

Schauspielhaus Wien 17., 18., 31. Oktober, 4., 15. November

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