Ein neues Theater mit langer Geschichte

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Mit Ilan Hatsors Stück „Rückkehr nach Haifa/Small Talk“ wurde in Wien ein beinahe neues Theater eröffnet: Das Theater Nestroyhof Hamakom. Doch nur beinahe: Das Gebäude, in dem das Theater untergebracht ist, kann auf eine lange und erfolgreiche Theatergeschichte zurückblicken.

Die Theaterreform von Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat der Bundeshauptstadt ein neues Theater beschert. Nun, das Theater Nestroyhof Hamakom ist nur beinahe neu, denn wie der künstlerische Direktor, der Schweizer Frederic Lion, der zusammen mit Amira Bibawy die Geschicke des neuen Hauses im zweiten Wiener Bezirk leitet, betont, bekomme Wien weniger ein neues Theater, als dass vielmehr ein altes Theater sich seine Gegenwart zurückhole.

In der Tat hat das Haus in der Leopoldstadt eine bewegte, mehr als 100-jährige Geschichte. Der wunderschöne Jugendstilbau wurde 1898 vom jüdischen Architekten Oskar Marmorek mitten im damals blühenden jüdischen Viertel erbaut. Im unteren Teil des Zinshauses war ein Theater untergebracht, das im November 1899 unter dem Namen „Etablissement Nestroy-Säle“ als Vergnügungstheater eröffnet wurde. Allerdings ging dieses Unternehmen schon im Jahr darauf bankrott und wich einem modernen Kabarett- und Varietétheater, den „Folies Comiques“, wo 1905 beispielsweise Karl Kraus’ Theatertruppe „Trianon“ die skandalumwitterte österreichische Erstaufführung von Frank Wedekinds „Die Büchse der Pandora“ als Privatvorstellung herausbrachte.

Zentrum jiddischen Theaters

Bis nach dem Ersten Weltkrieg war an derselben Stelle das von Emil Richter-Roland und Oscar Friedmann geleitete „Intime Theater“ untergebracht, das sich um die österreichische Erstaufführungen von Stücken von Strindberg, Maeterlinck, Gorki und anderen verdient gemacht und nicht selten auch mit der Zensur zu kämpfen hatte. Seit 1907 beherbergte ein Seitentrakt des Hauses zwischenzeitlich auch ein Kino sowie die mondäne „Tanzbar Sphinx“. In den zwanziger Jahren wurde der Nestroyhof unter dem Namen „Jüdische Künstlerspiele“ zu einem Zentrum für jiddischsprachige Ensembles aus der ganzen Welt. 1938 bedeutete der Anschluss Österreichs an Nazideutschland das Aus für das gesamte jüdische Theaterleben in Wien. Nach dem Krieg und einem umstrittenen Restitutionsverfahren beherbergte der Nestroyhof zunächst eine Möbelfirma und dann verschiedene Supermarktketten. Seit 1997 wird der Raum sukzessive seiner ursprünglichen kulturellen Bestimmung zugeführt, nämlich der, ein Theater zu sein.

2008 reichten Amira Bibawy und Frederic Lion ein sehr ambitioniertes künstlerisches Konzept für das Haus ein, das eine vielschichtige Nutzung beinhaltet und neben Theatereigenproduktionen auch Gastspiele und darüber hinaus auch ein interdisziplinäres Programm für Literatur, Film, Musik, Philosophie, bildende Kunst bis hin zu historischen Ausstellungen vorsieht. Die Stadt honorierte das Konzept mit einer Subventionszusage von jährlich 270.000 Euro bis Dezember 2013. Zusätzlich ermöglichte die Stadt die Renovierungsarbeiten des Theatersaales.

Eröffnet wurde das Theater am Dienstag vergangener Woche mit einem Stück des israelischen Erfolgsautors Ilan Hatsor, das der Hausherr Lion in Szene gesetzt hat. „Rückkehr nach Haifa/Small Talk“ handelt von der Geschichte eines herrschaftlichen Hauses, das im israelisch-arabischen Konflikt einer palästinensischen Familie entwendet wurde, wofür ein später Nachfahre wenigstens symbolische Anerkennung einfordert. Damit bringt er die linksintellektuellen israelischen Besitzer des Hauses in arge Gewissensnöte.

Stück wie szenische Umsetzung hinterlassen aber einen sehr zwiespältigen Eindruck. Dem Autor gelingen kaum gute Dialoge, das Stück ist schlecht gebaut und ungemein geschwätzig. So handelt es ohne dramatische Zuspitzung ein wenig von allem, was eine moderne, liberale israelische Familie heute so umtreiben könnte: Ehekonflikt, Karrieresorgen, Zukunftsangst. Zudem vermag Lions Regie das Stück kaum über TV-Soap-Realismus hinauszuheben. Der Star an diesem alles in allem enttäuschenden Eröffnungsabend bleibt im doppelten Sinne das Haus.

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