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Hollands schwarzer Dienstag

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Die pralle Sommersanne hat es in sich. Sie vermag bedächtige Phlegmatiker in jähzornige, unbesonnene Heißsporne und Aufrührer zu verwandeln.

Wenn man von einem ungetrübt heiteren Himmel über Amsterdam auch kaum noch reden kann — die Luft war vielmehr seit längerer Zeit schwül und häufig diesig, und die Spannungen mußten sich früher oder später einmal entladen —, so waren es doch recht harmlose Wölkchen, aus denen dann unversehens ein prasselnder Wettersturz auf die verdutzte Stadt niederging.

Eine Gewerkschaft hatte aus irgendeinem Grunde allen nicht- organisierten Baufacharbeitern eigenmächtig und ohne viel Federlesens zwei Prozent ihrer Feriengelder einbehalten. Man nannte das Verwaltungsgebühren. Es handelte sich um einen winzigen Betrag von etwa 12 bis 16 Gulden pro Arbeiter. Die Betroffenen empfanden das nichtsdestoweniger als Diskriminierung und protestierten gegen die Schmälerung ihrer Rechte. Sie äußerten ihre Verstimmung in einer öffentlichen Kundmachung, der sie mit einem kurzfristigen Streik gelinden Nachdruck zu verleihen gedachten. Ganz ohne Zwischenfälle geht so etwas meistens nicht ab, Demonstranten und Polizisten gerieten in ein Handgemenge. Und dann geschah das Unglück. Plötzlich lag ein Toter im wilden Gedränge am Straßenrand, ein Bauarbeiter, ein Kamerad. „Mörder, Sklaventreiber“, kreischte es auch schon aus der wütenden Menge. Nun war kein Halten mehr. Steine prasselten auf den Asphalt nieder, Straßen wurden aufgebrochen, im Nu hatte sich die Zahl der Rädelsführer um ein Vielfaches vermehrt. Die Polizei zog sich vor der Übermacht eiligst zurück. Fensterscheiben klirrten, Autos wurden umgestürzt, da und dort brannte es. Vor allem die Kontorgebäude des „Telegraaf“, der größten holländischen Tageszeitung und vielgeschmähten Hochburg der Reaktion, mußten es ent gelten. Stöße von Zeitungen bildeten einen Scheiterhaufen, um die eine ausgelassene Jugend ihre wilden Sprünge vollführte. Rollen von Zeitungspapier wurden wie Teppiche auf Straßen und Plätze ausgelegt. Der Streitruf des Provos, „Hi Ha Happening“, schallte herausfordernd und beinahe triumphierend an den Giebeln empor. Die Stunde der Rache schien gekommen.

Bald aber erschienen starke geschlossene Polizeiformationen, mit Tränengasbomben, Pistolen und Karabinern bewaffnet, dazu berittene und motorisierte Abteilungen auf dem Plan. Es kam zu regelrechten. erbitterten Straßenkämpfen, die bis in die Nacht fortdauerten. Ein komplettes Chaos, das an Bilder aus Saigon oder an solche aus der Besatzungszeit erinnerte, blieb zurück.

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