Kopftuch nur aus Hygienegründen

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Die Bilder des österreichischen Fotografen Othmar Pferschy trugen das Image der modernen Türkei in die Welt. Das Wien Museum zeigt sie – und wirft damit ein Licht auf die Frage nach dem Verhältnis dieses Landes zu Europa.

Der mögliche EU-Beitritt der Türkei, Migrationsströme nach Mitteleuropa: Die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Türkei und Europa gehört zu den brennendsten unserer Zeit. Ist die laizistische Türkei ein westliches Land? Oder ist die herrschende Staatsideologie nur brüchige Fassade, hinter der sich archaische Gesellschaftsstrukturen verbergen? Eine Ausstellung im Wien Museum liefert einen Beitrag zu dieser Debatte. Die Schau „Türkei Modern“ wirft einen Blick auf jene Zeit, als das Land einen ersten, gewaltigen Schritt Richtung Europa machte.

Die zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts brachten für die Türkei, die gerade Gastland der Frankfurter Buchmesse ist, enorme Veränderungen. Der Gründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, brach mit den Jahrhunderte alten Traditionen des untergegangenen Osmanischen Reiches und formte sein Land zu einem modernen Staat westlichen Zuschnitts. Zu den Reformen, die Atatürk seinem Land verordnete, gehörten die Trennung von Staat und Religion, die Gleichstellung der Frau und die Einführung der lateinischen Schrift. Dieser Modernisierungsschub wurde propagandistisch durch ein damals noch einflussreiches Medium begleitet: die Fotografie.

Obwohl für Nicht-Türken eigentlich ein einschlägiges Berufsverbot bestand, war es ein österreichischer Fotograf, dessen Aufnahmen das Image der neuen Türkei in die Welt trugen. Der in Graz geborene Othmar Pferschy (1898–1984) lieferte im offiziellen Auftrag jene Bilder, in denen das Selbstverständnis der jungen Republik zum Ausdruck kam. Pferschys Fotos erschienen nicht nur in Propaganda-Publikationen wie „La Turquie Kemaliste“ oder „Türkei in Bildern“, sondern fanden auch auf Briefmarken, Banknoten, Postkarten und Kalendern massenhaft Verbreitung. Diese Bilder sind es, die nun im Wien Museum zu sehen sind.

Pferschy bereiste das ganze Land und dokumentierte das Nebeneinander von Tradition und Aufbruch – Momentaufnahmen eines jungen Staates, der zwischen Vergangenheit und Zukunft seine Identität sucht. Dem modernen Türkeibild entsprachen Aufnahmen von technischen Zeichnern oder Handelsschülerinnen, von Jugendverbänden bei der Huldigung der türkischen Nation und bei Sportveranstaltungen. Die Bilder transportieren unter anderem ein modernes Frauenbild; Kopfbedeckungen tragen auf diesen Aufnahmen nur die Arbeiterinnen einer Tabakfabrik – aus hygienischen Gründen.

Welches Bild stimmt?

Einen bemerkenswerten Aspekt eröffnen Pferschys Architekturfotos der neuen Hauptstadt Ankara, wo die neu aus dem Boden gestampften Verwaltungs- und Regierungsgebäude zu dokumentieren waren. Der maßgebliche Architekt beim Aufbau der neuen Kapitale nämlich war der Österreicher Clemens Holzmeister, der zahlreiche Amtsgebäude und Monumentalbauten entwarf. Von Holzmeisters Bauten sind im Wien Museum das Generalstabsgebäude und Atatürks Palast zu sehen – westlich-moderne Architektur in Reinkultur. Doch auch die alte osmanische Hauptstadt Istanbul präsentiert sich auf den Bildern des österreichischen Fotografen als pulsierende, vom Schein elektrischer Lampen erhellte Metropole.

Ganz anders hingegen die Aufnahmen, die Pferschy im Zuge mühevoller Reisen für die staatliche Presseagentur anfertigte, um die Schönheit des Landes festzuhalten: Sie zeigen urtümliche Landschaften, archäologische Sehenswürdigkeiten, einfache Dörfer, Bauern und Fischer. Es sind dies Bilder der alten Türkei, die ungeachtet aller legistischen und propagandistischen Anstrengungen des Kemalismus weiter fortbestand. Womit wir zur Gretchenfrage zurückkehren: Welche dieser Bilder stehen heute, wo das Erbe Atatürks zunehmend in Frage gestellt wird, für die Türkei? Die Bilder von modernen staatlichen Gebäuden und emanzipierten Frauen oder jene von Moscheen und Kopftuchträgerinnen?

Türkei Modern

Wien Museum, Karlsplatz, 1040 Wien

Fotografien von Othmar Pferschy

bis 9. November, Di–So 9–18 Uhr

„Kemal Atatürks Modernisierungsschub wurde propagandistisch durch ein damals noch einflussreiches Medium begleitet: die Fotografie.“

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