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Baume

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Zu Anfang unseres Jahrhunderts lebte in Amerika ein junger Mann, der liebte das Grün so sehr, daß er sich hinsetzte und ein Lobgedicht auf die Bäume schrieb. Seine schlichten Verse wurden bald berühmt, und da ihn der Tod im.ersten Weltkrieg in Frankreich hinwegnahm, ehe er von dem Ruhm wußte, der von seinem Gedichte sich verbreitete wie das Gezweige der Bäume, liebten die Menschen sein Gedächtnis um so mehr. Sie ließen eine Bronzetafel anfertigen und brachten sie an der Vorderseite des Hauses an, wo der junge Mann gelebt hatte, so daß jeder, der vorüberging, davon wissen und sich an das Gedicht erinnern sollte, das beginnt: „Ich weiß — kein Lied, kein Vers, kein Traum kann je so schön sein wie ein Baum.“

Was wäre nun angemessener gewesen, als einen Baum vor dem Hause zu pflanzen als Sinnbild des Gedichtes und als lebendiges Denkmal für seinen Schöpfer. Der Baum wuchs und seine Wurzeln fühlten sich tiefer und tiefer in die kühle Erde, wo sie vielleicht auf geheime Art den schlafenden Jüngling berührten. Die Äste der Ulme aber hoben sich höher und höher, bis sie den Himmel im Gezweige hielten und auch die Nester der Rotkehlchen. Sonne und Regen fielen darauf, die Winde spielten hindurch und im Winter glitzerte der Schnee. Es war ein herrlicher Baum.

Allein, die Menschen, die den jungen Dichter so liebten, bemerkten eines Tages, daß das Laub der schönen Ulme nun die Bronzetafel verdeckte, die den Eilenden und Gleichgültigen an die Schönheit jener Verse zum Lob der Bäume erinnern sollte. Sie baten den Gemeinderat, etwas dagegen zu tun. Die Stadtväter schenkten ihnen Gehör, berieten sich lange und hielten die Klage für gerecht. Ihren Bescheid gaben sie dem Gärtner.

Als die prächtige Ulme gefällt war, mit der Sonne darauf und den Nestern der Rotkehlchen im Gezweige, durch das der herbe Saft noch strömte, und als sie auf dem Rasen lag, längsweis zur Straße nahe ihrer weißen tödlichen Wunde, da blickte der Gärtner zur Vorderseite des Hauses hin und las:

„An Dichtern mangelt es wohl kaum, doch Gott allein schafft Ast und Baum.“

Er nickte und schien zufrieden, denn seine Arbeit war getan und jedermann würde nun wieder wissen, daß ein junger Mann, schon lange tot, ein sehr wunderbares Gedicht zum Lob der Bäume geschrieben hat.

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