Dantes Hölle von Katharina Tiwald - © Foto: Pawel Czerwinski / Rainer Messerklinger / Margit Ehrenhöfer

Dantes Hölle: Cinemascope im Mittelalter

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Zum 700. Todestag von Dante Alighieri. Teil 2.

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Zum 700. Todestag von Dante Alighieri. Teil 2.

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Fast möchte man sich Vergil mit einem Schirmchen in der Hand vorstellen, „hier entlang!“ rufend, wie einen Reiseleiter durch die Hölle. Trotz seiner Kompetenz scheitern die beiden Wanderer beinahe an der Mauer von Dis, der Parodie einer Stadt, die den Kern der Hölle umgibt. Ihr Namensgeber, Dīs Pater, ist der antike Gott der Unterwelt; die ursprüngliche Assoziation, die Dankbarkeit für fruchtbare Erde, ist völlig weggebrochen. Dis, das ist purer Schrecken: der „echte“ Vergil hat dieses Wort in seinem Epos „Aeneis“ ebenfalls für die Unterwelt benutzt, seinen Helden Aeneas hineingeschickt – und sich zum „Werkbereiter“ für Dante gemacht, geboren mehr als ein Jahrtausend später.

Für die Beschreibung von Dis verwendet Dante architektonische Elemente, die ihm als Mensch des Mittelalters vertraut waren: Türme, Zinnen, Zugbrücken und Kuppeln, die den Dichter, zu dessen Lebzeiten die letzten Kreuzzüge stattfanden, an Moscheen erinnern.

Ein Engel muss anrücken, um die Furien von Dis davon zu überzeugen, die beiden Wanderer passieren zu lassen; kaum eingetreten, gelangen sie in ein Gräberfeld voller glühender Särge, wo Ketzer aller Spielarten auf den Jüngsten Tag warten. Es wäre nicht Dante mit seinem Gefühl für großes Kino – gut sechshundert Jahre, bevor je ein Mensch bewegte Bilder sah –, wenn nicht Tote sich aus diesen Särgen aufrichten und mit ihm sprechen würden: Farinata, der Führer der gegnerischen Partei im Florentiner Machtkampf, und der Vater eines Freundes, der vergeblich seinen Sohn an Dantes Seite sucht.

Nach einem Kapitel zum Durchatmen, in dem Vergil den Aufbau der Hölle erklärt, wird es wieder anstrengend: Die Wanderer müssen einen kochenden Blutfluss überqueren, in dem Diktatoren schmoren, und in drei aufeinanderfolgenden Gesängen regnet es heißen Sand. In einer ergreifenden Szene begegnet Dante seinem Lehrer, Brunetto Latini, dessen Gesicht so gekocht erscheint, dass der Schüler – der seine respektvolle Haltung beibehält, Hölle hin oder her – ganz genau hinschauen muss.

In der Mitte der Reise durchs Inferno kommt es schließlich zu einem spektakulären Ereignis, das seine Spuren bis zu Leonardo da Vincis Träumen und Michael Endes Fuchur aus der „Unendlichen Geschichte“ gezogen haben mag: Ein fliegendes Vieh taucht aus dem Abgrund auf. Auf seinem Rücken segeln Vergil und Dante, letzterer ängstlich festgekrallt, hinab: In Cinemascope sieht Dante weitere Foltern im Gestein, an dem er vorbeischwebt auf seinem Weg nach unten.

Nächste Woche: Schlammbäder und ein übler Teufelstrupp

Der FURCHE Podcast · Gesang VIII – Über den Styx | Dantes Hölle von Katharina Tiwald

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