Der Tod als Versöhnung. Eine muslimische Erfahrung
Hat Gott eine Hölle erschaffen, wie sie im Koran beschrieben wird, in der Menschen verbrennen und gefoltert werden?
Hat Gott eine Hölle erschaffen, wie sie im Koran beschrieben wird, in der Menschen verbrennen und gefoltert werden?
Vor wenigen Tagen schrieb mir die Tochter einer Schwerkranken, ihre Mutter liege im Sterben und wünsche dringend ein Gespräch mit mir. Ich habe die Mutter besucht, und wir haben lange und intensiv geredet. Ein Gedanke beschäftigte sie stark, und zwar wie die Liebe und Barmherzigkeit Gottes mit der Rede von einer ewigen Hölle vereinbar sein kann.
Sie sagte: „Ich bin eine gläubige Muslimin, aber ich habe ein großes Problem damit, daran zu glauben, dass Gott eine Hölle erschaffen hat, wie sie im Koran beschrieben wird, in der Menschen verbrennen und gefoltert werden.“ Sie haderte mit diesem Gottesbild und dies zu Recht. Ich erklärte ihr, dass die Rede von der Hölle im Koran eine rein metaphorische ist. Es geht nicht darum, dass Gott Menschen foltert. Die Rede von der Hölle steht vielmehr für die Begegnung mit eigenen Verfehlungen, um Einsicht über Verletzungen und Fehler, die wir hier in der Welt verursacht haben, zu erlangen. Diese Einsicht dient der Vervollkommnung des Menschen, um in Gottes Gegenwart zu gelangen. Mit anderen Worten geht es um die Versöhnung mit sich und seinen Mitmenschen.
Die Mutter ergänzte spontan: „Und auch mit Gott. Ich fühle mich jetzt mit diesem Gottesbild versöhnt, nicht jedoch mit dem Gott einer realen Hölle zum Foltern von Menschen.“ Am nächsten Tag erzählte mir die Tochter, die Mutter diktiere viele Briefe an alte Bekannte und Freunde. Die Rede von der Versöhnung habe sie sehr berührt: „Warum soll ich bis nach
dem Tod warten? Ich habe nur noch ein paar Tage zu leben, ich will sie nutzen, um mich mit allen zu versöhnen.“ Ich war am vergangenen Sonntag wieder bei der Mutter, die inzwischen physisch stark abgebaut hatte.
Sie sagte mir, sie habe sich noch nie so glücklich und versöhnt gefühlt, sie könne jetzt in Frieden loslassen: „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, hätte ich mich schon längst mit sehr vielen Menschen versöhnt.“
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.
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