Dantes Hölle von Katharina Tiwald - © Foto: Pawel Czerwinski / Rainer Messerklinger / Margit Ehrenhöfer

Dantes Hölle: Die Strahlkraft der Geschichten

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Zum 700. Todestag von Dante Alighieri. Teil 4.

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Zum 700. Todestag von Dante Alighieri. Teil 4.

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Wir nähern uns den tiefsten Kreisen der Hölle. Anfangs ging es sogar relativ neckisch zu, in Kapitel fünf zum Beispiel ging es um die Sünder aus Lust, und über den Erzählungen Fran­cescas, der Ehebrecherin, geriet man ­lesend ins Meditieren über die Liebe.

Jetzt wird alles anders. „Vom Kinn bis dorthin, wo wir furzen“, sind jene aufgerissen, die Zwietracht säten. Gaius Curio, der Caesar zum Angriff auf die Republik überredete, kann nicht mehr sprechen, die Kehle aufgeschlitzt; Mohammed – als abtrünniger Christ verstanden – zeigt Dante seine Innereien. Das sind starke Bilder, die sich als Marker der Hölle durch die Jahrhunderte fortgeschlängelt haben: Auch mich hat ihr Echo erreicht, Mitte der 1980er Jahre, als es der örtliche Diakon für angemessen befand, uns Volksschülern im Religionsunterricht von abgeschlagenen und nachwachsenden Köpfen zu berichten.

Dante kann natürlich mehr. Viel mehr – sonst hätte die „Divina Commedia“ nicht ihre weltweite Strahlkraft entwickelt. Der Mensch hungert nach Geschichten, das erzählen Marketingmenschen heute, das wusste Dante vor 700 Jahren. Die Wanderschaft abwärts bringt die Bilder in Bewegung, und in dieses Kreisen der Betrachtung schieben sich immer neue Menschen, neue Themen, schlussendlich neue Geschichten.

Hinter all den Aufgeschlitzten schüttelt ein Schatten bedrohlich seine Faust, wir sehen ihn mit Dante nur aus der Ferne. Es ist ein entfernter Verwandter, der ermordet wurde und zornig ist darüber, dass die Familie die Pflicht der Blutrache vernachlässigt hat. Offenbar setzt Dante hier ein bewusstes Signal an seine Zeitgenossen, gegenläufig zur Hölle als Raum der Rache: Er legt Vergil den Ratschlag in den Mund, diesen Mann samt seinen Ansprüchen zu ignorieren – ein weiteres Zeugnis für die verblüffende Modernität dieses Werks.

Auch andere Figuren, die sich mit fixer Geschichte ins Weltgedächtnis eingeschrieben haben, erscheinen in Dantes „Inferno“ in einem derart neuen Licht, dass sich, wenn der Grundton auch jener der Trauer sein mag, das Adjektiv „erfrischend“ aufdrängt. Odysseus zum Beispiel: Eingehüllt in eine Flamme erzählt er, der in der tiefen Hölle sitzt, von seinem Drang, die weite Welt zu bereisen. Dieser Odysseus ist keineswegs heimgekehrt – er büßt die Lügen, mit denen er seine alten Gefährten zur letzten, gefähr­lichen Reise durch die Straße von ­Gibraltar hinaus auf den offenen Ozean angestachelt hat.

Auch der prominenteste Insasse der Hölle, Luzifer, ist auf unerwartete Weise gezeichnet – ihm werden wir am Ende des „Inferno“ begegnen.

Die Autorin ist Lehrerin und Schriftstellerin.

Der FURCHE Podcast · Gesang XXII – In Begleitung der Teufel | Dantes Hölle von Katharina Tiwald

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