Dante - © Foto: picturedesk.com / Roger Viollet

Päpstliche Dante-Lektüre

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Mit dem 700. Todestag am 14. September erreicht das Dante-Jahr demnächst seinen Höhepunkt. Eigentlich überraschend, dass dem italienischen Dichterfürsten auch Papst Franziskus ein eigenes Schreiben gewidmet hat.

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Mit dem 700. Todestag am 14. September erreicht das Dante-Jahr demnächst seinen Höhepunkt. Eigentlich überraschend, dass dem italienischen Dichterfürsten auch Papst Franziskus ein eigenes Schreiben gewidmet hat.

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Sie stecken fest, ihre Fußsohlen brennen, und sie winden sich vor Schmerzen, diese Kleriker. Ein Graf und ein Bischof liegen festgefroren im Eis und beißen einander gegenseitig genau dorthin, wo das Gehirn in den Nacken übergeht: Dantes Hölle lässt nichts aus, was Menschen Schmerzen zufügt. Gegen Dantes „Inferno“ , gegen die einprägsam knapp skizzierten Bilder der Verdammten erscheinen Horrorfilme fast einfallslos.

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Dass Dantes „Göttliche Komödie“ ohne Aufkleber „Achtung, könnte verstörend wirken“ in der Buchhandlung erhältlich ist, ist – eigentlich – erstaunlich. Noch erstaunlicher ist, dass Papst Franziskus dem „Göttlichen Dante“ ein Apostolisches Sendschreiben gewidmet hat und damit in die Fußstapfen erlauchter Vorgänger tritt, denn sowohl Benedikt XVI., Johannes Paul II. und der Pazifistenpapst Benedikt XV. (1854–1922) haben zu Dantes Jubiläen betont, wie katholisch der Dichterfürst Dante sei – und dies, obwohl er Päpste ins Höllenfeuer steckte.

Ein früher Bestseller

Das Werk war von Anfang an ein Bestseller, wie die Dante-Ausstellung im Barghello in Florenz anhand von Abschriften und handschriftlich kommentierten Ausgaben belegte. Nur von der Bibel gab es zu dieser Zeit mehr Kopien, erhalten sind etwa vierhundert Abschriften. Der Verleger muss an den zum Teil seriell angefertigten Kopien sehr gut verdient haben, schreibt Franziska Meier in ihrem lesenswerten Buch „Besuch in der Hölle. Dantes Göttliche Komödie. Biografie eines Jahrtausendbuchs“ (C. H. Beck 2021).

Dante begann das Buch 1307 im Exil zu schreiben und vollendete es knapp vor seinem Tod (1321). Es ist die Geschichte einer Reise ins Jenseits – ein im Mittelalter sehr beliebtes Genre. Viele dieser Erzählungen werden der „Visionsliteratur“ zugerechnet und gelegentlich auch als Nahtod-Erfahrungen interpretiert. Die Jenseitsreise der „Divina Commedia“ allerdings wurde bereits von Boccaccio wenige Jahrzehnte nach Dantes Tod für eine Fiktion gehalten. Die jedoch war höchst wirkungsvoll: Denn trotz zeitgenössischer Verbote, das Buch zu lesen, malte Nardo di Cione in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz in etwa zur selben Zeit – um 1360– ein Jüngstes Gericht, dessen Hölle von Dantes „Inferno“ inspiriert ist.

Dieses Interesse am Inferno hängt mit neuen Orientierungen fürs Jenseits zusammen. Etwa seit dem Jahr 1000 verbreitet sich die Darstellung des Jüngsten Gerichts, und ab dem zwölften Jahrhundert wird die Vorstellung des Fegefeuers als Übergang zwischen Himmel und Hölle kirchliche Lehre. Die „Geburt des Fegefeuers“ (LeGoff) ist der zunehmenden Geldwirtschaft und dem entstehenden Kapitalismus zu verdanken, um die moralischen Folgen des Kapitals – Stichwort „Wucher“ – fürs Jenseits abzuschwächen. Die Martern im „Inferno“ entsprechen teilweise der Realität zu Dantes Zeiten und auch noch später – Delinquenten wurden zerschnitten, gevierteilt, gehängt, zerrissen oder verbrannt.

Franziskus stellt Fragen nach dem Sinn des Lebens und die Verantwortung vor dem Leben ins Zentrum seiner Lesart von Dante.

Zudem sollte man den Aspekt der Sozio- und Psychohygiene nicht unterschätzen: Bereits auf den ersten großen Darstellung des Jüngsten Gerichts – zum Beispiel in Venedig auf der Insel Torcello in Santa Maria Assunta aus dem zwölften Jahrhundert – sitzen auch Päpste und gekrönte Häupter im Höllenfeuer. Solche Jenseitsvorstellungen helfen jedenfalls zu erhoffter Gerechtigkeit, wenn es im politischen Leben keine gibt.

Manchmal würde es heutzutage der Psychohygiene dienlich sein, könnte man sich etwa jene, die für die fatale Situation in Afghanistan oder in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln verantwortlich sind, ab und zu im Höllenfeuer vorstellen. Für Dante war dies kein Problem – in seiner Hölle und seinem Fegefeuer tauchen konkrete historische Personen, manchmal sogar noch lebende Zeitgenossen auf, Adelige und Kleriker, aber auch antike Gestalten wie Odysseus oder der Dichter Vergil, der Dante durch Hölle und Fegefeuer führt. Für den Himmel – auch dieser Jenseitsort ist von sehr konkreten Diesseitigen bevölkert – übernimmt Beatrice, die hohe Geliebte, die Führung.

„Candor lucis aeternae“

An diesen Bildern ist das Apostolische Schreiben „Candor lucis aeternae – Der Glanz des ewigen Lichtes“, das Papst Franziskus am 25. März 2021 zum 700. Todestag von Dante veröffentlicht hat, wenig interessiert. Für Franziskus gibt es vor allem drei Gründe, warum Dante ein wichtiger Dichter ist.

Erstens das Motiv der Wanderung: Dante bricht aus einer Krise auf, um sich auf den Weg zu Gott zu machen. „In der Mitte unseres Lebenswegs kam ich zu mir in einem dunklen Wald. Der rechte Weg war da verfehlt“, heißt es in der Prosa-Übersetzung von Kurt Flasch. In einer Krise nach dem richtigen Weg zu suchen, ist eine sehr menschliche und allgemein religiös-spirituelle Situation. Denn erst aus der Krise kann ein Wandel, kann Neues entstehen. Bei Dante ist der Weg aus der Krise klar: Nachdem er die Schrecken von Hölle und Fegefeuer durchlaufen hat – beides könnte man auch als psychische Zustände interpretieren –, findet er sein Gleichgewicht wieder und steigt, angeleitet von Beatrice, zur Sphäre der Gottesschau auf. Visio beatifica – die beseligende Schau auch zu Lebzeiten galt als Ziel spirituellen Strebens. Diese Weg-Perspektive wieder zu entdecken, könnte eine Belebung kirchlicher Verhältnisse bedeuten.

Ein zweites Motiv: die Personalität – alle, die in der „Divina Commedia“ auftreten, sind scharf umrissene Gestalten mit persönlicher Verantwortung für ihr Handeln. Der Jenseitsort, an dem sie jeweils landen, ist eine Konsequenz ihrer Handlungen. (Dass Handlungen Konsequenzen für jetzt und später haben, scheint den Entscheidern in Politik und Wirtschaft heute oft egal zu sein – man denke an die kürzlich aufgedeckten jahrzehntelangen Verschleierungstaktiken der großen Erdölfirmen in Sachen Umweltfolgen.)

Das dritte Motiv für den Papst: dass Dante die Liebe als das entscheidende Moment seines Weges nennt. Diese Liebe gibt dem Dichter „Wagemut und Freiheit“, sich auch dem Schrecken der Hölle furchtlos zuzuwenden.

Dante als wahrer Katholik?

Seine Vorgänger im päpstlichen Dante-Lob hatten allerdings andere Motive. Der erste Papst, der sich öffentlich für Dante begeisterte, war Leo XIII., Papst zur Zeit der Einigung Italiens. Dante war damals zum italienischen Nationaldichter und -helden aufgestiegen, wie unzählige Dante-Statuen in italienischen Städten zeigen. Es galt also, das neue national-religiöse Selbstverständnis mit dem römischen (bzw. italienischen) Katholizismus zu verknüpfen. Dante als wahrer Katholik: Das war auch Thema der folgenden Päpste.

Papst Franziskus jedoch folgt in seinem Schreiben der Lektüreanleitung von Dante selbst: Dieser meinte, wie Franziska Meier zeigt, man solle sein Werk nach dem Schema des „Vierfachen Schriftsinns“ lesen, einer von antiken Kirchenvätern entwickelten Methode der Bibelinterpretation. Demnach gibt es neben dem wörtlichen Sinn auch eine moralische, eine allegorische und eine eschatologische (also auf Tod, Gericht und Auferstehung bzw. allgemeiner auf den Sinn des Lebens bezogene) Interpretation. Papst Franziskus stellt Fragen nach dem Sinn des Lebens und die Verantwortung vor dem Leben ins Zentrum und wird damit Dante vermutlich gerechter als seine Vorgänger.

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