
Durch finstere Wälder und zerstörte Landschaften
Worte und Bilder: „Das zweite Gesicht“ und „American Apocalypse“, zwei Gedichtbände mit künstlerisch transdisziplinärem Ansatz.
Worte und Bilder: „Das zweite Gesicht“ und „American Apocalypse“, zwei Gedichtbände mit künstlerisch transdisziplinärem Ansatz.
Der Limbus Verlag in Innsbruck präsentiert nicht nur in seiner Reihe „Limbus Lyrik“ exquisite Poesie deutschsprachiger Dichterinnen und Dichter, sondern gewährt auch in seinem regulären Programm außergewöhnlichen, bibliophil gestalteten Lyrik-Publikationen Raum. Im Frühjahr sind gleich zwei Bände erschienen, auf die es sich lohnt, einen genaueren Blick zu richten, zumal sie, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, einen künstlerisch transdisziplinären Ansatz verfolgen.
In „Das zweite Gesicht“ setzt sich Erika Wimmer Mazohl mit den Skizzenbüchern des Bozner Künstlers Markus Vallazza (1936–2019) zu Dante Alighieris „Inferno“ auseinander und somit – vermittelt durch den Blick eines Künstlers, dessen Œuvre oft eine künstlerische Verbeugung vor den Werken von Schriftstellern und Philosophen ist –, auch mit jenem Dichter, der vor 700 Jahren gestorben ist und als der Begründer der italienischen Schriftsprache gilt.
Bei den Skizzen, die Vallazza als „Kopfgeburten“ oder „Psychogramme“ bezeichnete, hat jede Miniatur der klassisch markanten Profi lansicht von Dante ein Adjektiv als Titel – und eben diese Titel greift Wimmer Mazohl in ihrem Gedichtband auf. Da fi nden wir etwa visionär, künstlerisch, kartografi sch, romantisch, astral, transparent, tonangebend und viele andere: sowohl menschliche Eigenschaften in ihrer ganzen Bandbreite als auch Bezüge zur europäischen Kunstund Kulturgeschichte, auf jeden Fall ein Spiel mit Form und Inhalt.
Was sofort für den Gedichtband einnimmt, ist das dichtende und beobachtende lyrische Ich, das sich von Text zu Text verwandelt und metamorphisch wandelt und dabei genau so viele Gesichter, Stimmen und poetische Modi einzunehmen vermag, wie es die Adjektiva der Skizzen Vallazzas hergeben. Es fi ndet eine ganz eigene Perspektive, die, einmal streng in der Form, einmal in freien Versen fl iegend, „an der Nasenspitze vorbei“ ist, „seitenverkehrt“ – „unerwartet“ auf jeden Fall. Da sind zwar die Fratzen, Monster und Teufel, wie es sich für die Auseinandersetzung mit dem Inferno gehört, doch wird ihnen ganz meisterlich ein Schnippchen geschlagen.
Darin findet sich nun kein Gestus der Überheblichkeit, vielmehr lesen wir in der Vielfalt des Ausdrucks ein neugieriges, waches erlebendes Ich, das seinen Blick auf die Welt lenkt und dabei von den mikroskopisch kleinen, oft unsichtbaren Regungen bis in die astralen Weiten des Alls und der Physik zu sehen vermag. Und wie Dante Alighieri und Vallazza verschließt auch Wimmer Mazohl ihre Augen nicht vor den Krisen der jeweiligen Gegenwart und deren politischen Implikationen, Bösartigkeiten und dunklen Ungerechtigkeiten – und wie die beiden setzt sie ihr wesentlichen Menschen ein poetisches Denkmal (Dante schickte diese in die Hölle oder ins Paradies, je nachdem, Vallazza erschuf sich seinen eigenen „Parnass“), so dass wir sehr innige und durchaus intime poetische Porträts und Ansprachen lesen.
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