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Das Werk eines Wiener Dante-Forschers

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Uber Dante besteht eine große Literatur, ein eigenes deutsches Dante-Jahrbuch erscheint seit Jahren, er wird'als Dichter hochgeschätzt, und eine Reihe von Büchern bieten sich an, dem Neuling eine Einführung in die Gedankenwelt Dantes zu geben. Dantes „Göttliche Komödie“ steht als Gipfelwerk der Dichtkunst an- jener Nahtstelle der Kultur, die Hochscholastik und Humanismus verbindet. So scheint nach einem neuen Dante-Buch, vor allem im Zeichen unserer Papierknappheit, kein besonderes Bedürfnis zu bestehen.

Wenn das Buch von Robert John, der derzeit Kaplan an der Wiener Votivkirche ist, entgegen solchem Bedürfnis erscheint, so liegt ein besonderer Anlaß vor. John legt hier ein Werk vor, das die Frucht einer viele Jahre währenden Beschäftigung des Verfassers mit den Geheimnissen Dantes ist, und das in mannigfacher Weise berufen ist, ganze Bibliotheken von Dante-Literatur veraltet zu machen. John hat sich seine Aufgabe nicht leicht gemacht, da Dante selbst sie ihm schwer machte. Dante hat nämlich in einer Reihe von Symbolen und Allegorien wichtige Lehren und Tatsachen eingehüllt, die nur dem Kundigen etwas sagen sollten, dem Unkundigen dagegen unverständlich sein sollten. John fragt also, wen sah Dante als seiner Geheimnisse kundig an, in welch :m Menschenkreis konnte er auf Verständnis rechnen?

John geht dieser Grundfrage aller Dante-Forschung nach und findet sie in der Zugehörigkeit des Dichters zum Templerorden. Der Templerorden war ein Ritterorden, der, ursprünglich aus dem Zisterzienserorden hervorgegangen, in Palästina mit den Mohammedanern nicht nur gekänJpft, sondern vor allem auf philosophischem Gebiet auch viel vcm diesen gelernt hatte. Der Islam hatte damals den Höhepunkt seiner philosophischen Kultur überschritten, aber gerade deshalb vermochten seine Denksysteme mannigfachen Anklang auch in christlichen Kreisen gewinnen Dachte man doch zum Beispiel am Hofe Friedrichs II ernstlich an eine weitgehende Verschmelzung von Christentum und Islam. Die Philosophen, die der Islam damals aufwies, waren zum Teil Platoniker, zum Teil auch Aristoteliker. Man darf ferner nicht vergessen, daß damals zwar die Lehre des Aristoteles in der Kirche durch Albertus Magnus und Thomas von Aquin gelehrt wurde, andererseits aber auch der Piatonismus in der Kirche eindrucksvoll vertreten war. So war nach John auch der Templerorden von platonischen Ideen beeinflußt.

Wie alle kirchlichen Orden, hatte auch der Templerorden eine eigene Tradition mit mannigfachem, liturgischem, philosophischem und sonstigem Sondergut. Diesem geht John nach Nun ist die Aufhebung des Templerordens mit dem Konzil von Vieni e verknüpft. Auf diesem Konzil wurde auch die Lehre des Franziskanertheologen Olivi abgelehnt, daß Christus den Lanzenstich vor seinem Tode erhalten habe und dadurch gestorben sei. Diese An 'dit gründet sich auf die Tatsache, daß in einer Reihe alter Bibelhandschriften Joh. 19 34 als Einschub nach Matth. 27, 49 erscheint, wie auch Nestle vermerkt. Es ist klar, daß eine solche Bibelstelle bedeutsame Folgerungen haben kann. Leider hat zum Beispiel Burdach es verabsäumt, in seinem Gralsbuch dieser Frage nachzugehen, denn die ganze Auffassung der hl. Lanze hängt wohl damit zusammen. John weist nach, daß auch der Templerorden diese Bibelstelle für echt genommen hat und so zu gewissen liturgischen und dogmatischen Sonderheiten gelangte. An zwei Stellen läßt Dante diese eingeschobene Bibelstelle vertreten, und zwar durch Thomas von Aquin und Bernhard von Clair-vaux, der ja Mitgründer seines Ordens gewesen war. John ersieht hier mit Recht einen starken Beweis für Dantes Zugehörigkeit zum Templerorden.

Aber hiemit hängt auch die Polemik Dantes gegen das Konzil von Vienne zusammen, das eines der dunkelsten Kapitel der Kirchengeschichte darstellt. Erst dem Franziskaner Ewald Müller gelang es vor wenigen Jahren, die Vorgänge auf diesem Konzil einigermaßen zu rekonstruieren. Der herrschsüchtige und geldbedürftige König von Frankreich, Philipp, hatte 1307 die Mitglieder des Templerorden- verhaften und dessen Güter einziehen lassen Als Vorwand diente ihm die Beschuldigung gegen den Orden, dieser sei ketzerisch. Zur Regelung dieser Frage wurde von Papst Clemens V., einem gebürtigen Franzosen, ein Konzil nach Vienne einberufen. Dieses sollte sich auch mit der Frage befassen, ob des Papstes unmittelbarer Vorgänger Bonifa2 VIII.

Ketzer gewesen sei, wie König Philipp verlangte; war doch die Rechtmäßigkeit des Papsttums desselben bestritten angesichts der Tatsache, daß sein Vorgänger Cölestin V. seine Abdankung widerrufen wollte, aber von Bonifaz daran gehindert wurde. Der französische König hatte alles Interesse, Bonifaz, mit dem er sich tödlich entzweit hatte, durch ein Konzil als Ketzer verurteilt zu sehen.

Aber es kam anders, das Konzil nahm das Verlangen des Papstes, den Templerorden ohne Verfahren zu verurteilen, nicht zur Kenntnis. Clemens V. war jedoch durch den König gezwungen, vorzugehen. So wurde über den Kopf des Konzils hinweg der Templerorden vom Papste für aufgehoben erklärt und seine Güter eingezogen. Dafür scheint Philipp auf das Verfahren gegen Bonifaz VIII. verzichtet zu haben. Es war begreiflich, daß gegen diesen päpstlichen Urteilsspruch alle Templer sich zur Wehre setzten. Dante selbst versetzt Clemens V. in die achte Hölle wegen seines „gesetzlosen“ Verhaltens.

Wir haben hier ein Kernstück der Gedankengänge Johns wiedergegeben, um darzutun, wie weit er seine Untersuchungen zog. Dies Beispiel, das eine Grundfrage betrifft, nämlich den historischen Ausgangspunkt, könnte leicht durch andere vermehrt werden. Es sei nur auf die tiefgründigen Darlegungen Johns über das Paradiso ter-restre verwiesen, das als Gegenstück zum Tempelplatz von Dante gedacht wurde. Hier kommt dem Verfasser auch seine persönliche Kenntnis der heiligen Stätten zugute. Johns Ausführungen stützen sich auf eine profunde Kenntnis Dantes, die sich mit starker Einfühlungskraft dem Dichter gegenüber verbindet. Bemerkenswert sind auch die Schlußausführungen Johns. Das offenkundig ungerechte Urteil Clemens V. hat weder Dante noch die übrigen Templer zur kirchlichen Revolte getrieben, viele von ihnen gingen mit Segensworten für ihre Schergen auf den Scheiterhaufen, sie wollten ihrem soldatischen Mönchsgelübde getreu als Diener der Kirche sterben. Diese Haltung war bestes Templergut, sie befähigte einen Dante noch einmal, die in sich zerfallende Welt des Mittelalters darzustellen und ihre innersten Triebkräfte, das Streben der christlichen Welt nach irdischer und himmlischer Glückseligkeit, das sich in Reich und Kirche, in Kaisertum und Papsttum verkörperte, gedanklich und dichterisch zu schildern und über Jahrhunderte hinweg uns nacherleben zu lassen. Kein Geringerer als Benedikt XV. hat in unseren Tagen in einem besonderen Rundsreiben auf Dante hingewiesen, eine einzigartige Huldigung für den Dichter.

Es wäre leicht, noch weitergehende Wünsche an den Verfasser zu stellen, der mit seinem Buche in die erste Reihe aller Dante-Forscher sich gestellt hat. Es ist erfreulich, daß ein Wiener Verlag den Mut hatte, dies Buch herauszubringen, das in den Kreisen der Interessierten Aufsehen erregen wird. John hat seine Ergebnisse vorsichtig, manchmal zu vorsichtig formuliert, so daß an dem Hauptergebnis seiner Darlegungen, nämlich an dem Templertum Dantes, aber auch an seinen Beziehungen zum Joachimismus nicht zu zweifeln 'St. Für eine Neuauflage habe ich den Wunsch, daß die zahlreichen Zitate aus italienischen Zeitgenossen Dantes übersetzt werden mögen, während Dante selbst angesichts der Tatsache, daß wir eine Reihe ausgezeichneter Dante-Übersetzungen haben, im Urtext belassen werden kann.

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