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Hoffen wider alle Hoffnung...

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Di alte Sitte detf““lJoppeireft “Bu'ehtitW Ist' hier \ sehr passend verwendet “wö*räeh.'t>ehn“e,s liegt nicht ' ein Geschichtsbuch vor, ein biographisches Werk über eine historische Persönlichkeit, sondern ge-schichtsmächtige Kräfte werden an einem Beispiel erklärt. Dem Leser wird es zunächst darum zu tun sein, warum denn für diese ideengeschichtliche Untersuchung gerade diese Persönlichkeit gewählt würde? Nun, Prinz Bernhard von Baden war ein frommer, im 18. Jahrhundert seliggesprochener junger Mann, der starb, als er mit den Verhandlungen der Häupter der Christenheit beschäftigt war. Und worum ging es bei diesen Verhandlungen? Worum sorgten sich Papst und Kaiser? Nach dem Fall von Kohstantinopel wollte man endlich jenen Kreuzzug gegen die türkische Sturmflut verwirklichen, den man schon so oft versucht hatte: Nikopolis, Varna! — Und dennoch gelang es nicht; und dennoch starb noch Papst Pius II. mit gebrochenem Herzen, als er seinen Kreuzzug scheitern sah. In dieser hoffnungslosen Zeit also starb Markgraf Bernhard vor einem halben Jahrtausend, im lahre 1458.

Da er nun Landespatron von Baden ist, wurde der 500. Jahrestag seines Todes entsprechend gefeiert; der Autor des vorliegenden Buches wurde eingeladen, eine Festrede zu halten, aus der dasselbe erwachsen ist.

Man ersieht leicht die Verknüpfung des hagio-^raphischen Anlasses und der politischen Aktualität. Nach dem Fall von Konstantinopel war die Stimmung so, wie sie nach diesem triumphalen Gipfel des unaufhaltsamen türkischen Siegeszuges sein müßte; man sah sich um, wer als Nächster an der Reihe sein würde. Und mehr als ein Autor wußte nun auszurechnen, daß, warum und wann das Ende der Welt kommen müßte. LTnd wie waren die höchsten Organisationen der Christenheit beschaffen? Die Kirche war verstrickt in Komplikationen aller Art; die große Reformbewegung war gescheitert. Das Papsttum arbeitete sich in Rom eben erst mühsam aus dem Schutt der Exilzeit heraus. Und das Römische Reich? „Daß Gott erbarm!“ Kaiser Friedrich III. wurde nicht einmal der Wiener Herr: und hätte König Georg von Böhmen nicht Anlaß gehabt, den Kaiser zu stützen - als Gegengewicht gegen den Papst und Matthias Corvinus —, wer weiß, ob Friedrich nicht endlich etwa auf Vorderörterreiclr beschränkt- geblieben wäre In“ dieser Laie, die er nüchternen Auges ermaß, verzweifelte Friedrich aber niemals. Ihn und seinen getreuen Bernhard von Baden als Bewahrer der Hoffnung in hoffnungsloser Lage zu schildern, ist erstes Thema des Buches.

Der festliche Anlaß des Werkes hat ihm deutliche Spuren eingeprägt. Vor allem: la mariee est trop belle, das Buch enthält der Gedanken nur allzuviel, gedrängt auf knappem Raum. Der Autor hatte alle Veranlassung, einer ausgesuchten, vorgebildeten Hörerschaft einen geistigen Genuß zu bereiten, den diese Hörer auch auszukosten voll imstande waren. Der Durchschnittsleser wird manchmal recht aufmerksam lesen müssen, um nach einem Gedanken, einer Geschichtstatsache schon im nächsten Satz Neues aufzufassen.

Zu einem einzigen Gewinde sind im ganzen Buch historische und politische Darlegungen verflochten. Folgt man den ersteren, dann wünschte man fast — ich sage fast! —, es wäre des Autors Beruf, Geschichte zu schreiben; so einprägsam, so untrüglich sind die verschiedenen Geschichtsbilder gezeichnet. Man liest einen Autor, der sich erfreulicher-, freilich aber nicht unerklärlicherweise in die verschiedenen handelnden Elemente der Geschichte, in die verschiedenen Völker des besprochenen Umkreises hineinfühlt. Wohl ist das Buch zunächst für die Verehrer des seligen Bernhard geschrieben: für Baden und Vorderösterreich, für den deutschen Südwesten, eine der geschichtlichen Landschaften des alten Reiches. Doch sehe man, wie daneben das geschichtliche Ungarn zu Worte kommt! Aber darauf kommen wir noch zurück. Hier noch ein Beispiel. Ein sehr zutreffender Exkurs bespricht den Unterschied, den das Mittelalter machte zwischen der ritterlichen Fehde unter Christenmenschen und dem Vernichtungskrieg gegen Gotresfeinde. Da kommen die Hussitenkriege zur Sprache: und deren „liebliche Fahrten“ — wie sie selbst sie nannten — werden zuletzt vom Standpunkt der geplünderten deutschen Lande betrachtet Doch wie hat der Autor die Hussiten eben geschildert? „Der Schrecken, den diese verbreiteten, eilte ihnen voraus und ließ manchmal das gegnerische Heer schon kehrtmachen, wenn auf eine Meile Entfernung die Staubwolke sichtbar wurde, die der Zug der Kriegswasen aufrührte, und wenn gar das dumpfe Grollen des Kriegsgesanges, begleitet vom Gepolter der Räder, hörbar wurde.. .“ — Man meint, eine Seite von liräsek zu lesen, eine Illustration von Ales zu sehen! Und ähnlicher Bilder gibt es mehr.

Es versteht sich, daß sich hingegen die politischen Ausführungen nicht jedem Leser mit der gleichen Selbstverständlichkeit einprägen werden. Erstens ist das Buch, wie wir schon sagten, sehr konzis geschrieben; bei manchem Satz wird vorausgesetzt, daß der Leser oder Hörer mit der ganzen Frage, mit allen einschlägigen Definitionen und Qualifikationen vertraut sein wird. Zweitens kann es nicht ausbleiben, daß manches, je nach dem Standpunkt verschiedener Leser, verschieden aussieht. Es scheint uns zum Beispiel, daß sich der Komplex „Nationalismus“ anders darstellt, je nachdem, was als konträrer Begriff empfunden wird: etwa solidarische Christenheit oder aber maurerische Kosmopolis oder endlich proletarische Internationale! Doch wie diese Vorbehalte in der kurzen Festschrift nicht durchgenommen werden konnten, so können sie auch in der Besprechung nicht “weiterverfolgt werden. Blicken wir eher auf andere Differenzen des Standpunkts; diese ergeben sich aus den Grundlagen der Persönlichkeit. Und da kommen wir etwa zu der ungarischen Frage.

„Daß der Mensch auch gegenüber dem technisierten Terror des Einparteienstaates des 20. Jahrhunderts nicht schlechthin wehrlos ist, hat die ungarische Revolution vom Oktober 1956 erwiesen.“ Nun, die meisten von uns dürften wohl den Eindruck empfangen haben, als hätten die Ereignisse von 1956 eben erwiesen, daß der Mensch gegenüber diesem technisierten Terror schlechthin wehrlos ist. Dieser Eindruck war ja gewiß der Zweck jenes Einsatzes von Panzertruppen. Auf welchem Punkt des Ausblicks steht der, welcher da anderes sieht? Er hat uns unzweifelhaft etwas mitzuteilen, das wir nicht alle wissen...

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