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Schone Geschichtsbilder

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Die Welt des Mittelalters. Geschichte, Weltbild, Kunst Voll Kurt P f i s t e r. 526 Seiten, mit 32 einfarbigen und vier vierfarbigen Kunstdrucktafeln und einem Bild des Autors, Bergland-Verlag, Wien 1952

Das Nachlaßwerk eines Autors, der sich als Schriftsteller einen wohlverdienten Namen gemacht hat, nun herausgegeben in prächtiger, sorgfältig betreuter Ausstattung vom Verlag. Ein Lesebuch das durch ein europäisches Jahrtausend führt, von der Spätantike bis zum hohen 15. Jahrhundert. Pfister versteht es, seine Lesefrüchte sehr schmackhaft auszubreiten für ein Publikum, das die Farbe, das starktonige Bild, den Wohlklang und ein vorsichtig abwägendes konservativ-romantisches Geschichtsbild liebt. Die Probleme und Fragestellungen der neueren Geschichtsforschung sind nicht eingegangen in diese Mosaike. Bisweilen nur klingt etwas an von dem, was etwa über Byzanz, das mittelalterliche Reich, die deutsche Mystik, seit Jahrzehnten nun die Geschichtsforschung beschäftigt. Eine starke Anziehungskraft und eine gewisse Verwirrung versteht der Autor dadurch seinem Publikum zu mittein, daß er unmittelbar Quellen und Texte der mittelalterlichen Welt mit seinen knappen und oft treffenden Bemerkungen verbindet, die jedoch für sich stehen und nicht mehr den Text zuvor erläutern. Ein kleines Beispiel. Der kurze Bericht über die Schlacht bei Hastings, die Eroberung Englands durch die Normannen, schließt: „Wilhelm“, schreibt der Chronist, „dankte Gott und aß und trank dann unter den Toten. — Sicherlich gehört die Schlacht von Hastings zu jenen kriegerischen Zusammenstößen, die weltgeschichtliche Auswirkungen hatten.“ — Das muß verwirrend und irreführend wirken: wenn schon der kurze Bericht des Chronisten über das Mahl unter den Toten, dann müßte auch der Sinn dieser Notiz festgehalten werden: der Wille des Königs, die Kräfte der Toten und des Landes in dieser sakralen Stunde nach der Schlacht in Besitz zu nehmen, uswi — Die Nichterläuterung der Texte stempelt diese zu Exotika und verunklärt das Geschichtsbild. — Bei einer Neuausgabe wären auch saloppe Wortspiele auszumerzen; so, wenn etwa die italienischen Städte des Hochmittelalters als „Spaltpilze im Gefüge eines universalen Imperiums“ bezeichnet werden (S. 249). — Spaltpilz war ein Lieblingswort Hitlers und ist an sich eine Fehlbeziehung: ein Spaltpilz spaltet nämlich nicht andere Gefüge, sondern sich selbst. Dasselbe gilt für modernistische Redewendungen, so wenn etwa bei Karl dem Großen von seiner „großzügigen sozialen Fürsorge“ die Rede ist (S. 55), ein Begriff, der einfach nicht in jene Zeit paßt. — Solchen Verwischungen stehen viele ansprechende Bemerkungen gegenüber, so zum Beispiel über die „schillernde Art des byzantinischen Volkscharakters, in dem sich Züge eines rationalistischen Zynismus, kühler Berechnung, raffinierter Brutalität, leidenschaftlichen Selbstgefühls, weltabseitiger Askese und Mystik finden“ (S. 189). — Das Bemühen des Autors, zu harmonisieren, die Brüche, Krisen und Probleme zwar nicht einfach zu überkleistern, so doch zu um-schweigen, wird naturgemäß besonders auffällig im geistesgeschichtlichen Teil, etwa bei Wolfram von Eschenbach, Meister Eckhart, Roger Bacon, Dante...: tief fragwürdige und problematische Geister und Naturen lösen sich hier in wohlgefällige Bilder auf. Das scheint uns das nicht Ungefährliche solcher an sich verdienstvoller Unternehmungen wie eben dieser Geschichtsmalereien zu sein: sie sind im Grunde streng „geschlossen“, sie weisen zu wenig hin auf die innere Dimension, auf die achten Kraft- und Spannungsfelder einer Zeit und ihrer führenden Persönlichkeiten, sie verharmlosen.

Trotz aller Bedenken: Pfiisters Nachlaßband hebt sich weit empor über viele verwandte Versuche. In ihm kommt ein Maß, eine Besonnenheit, eine im guten Sinne deutsche und europäische Gesinnung zum Ausdruck, die den allzufrühen Tod des Verfassers schmerzlich bedauern läßt. Seine Gestalt ist irgendwie umsponnen von jenem schmerzlich-schönen Abendglanz des römischen Frühbarock, den er selbst besungen hat in seiner „Vittoria Colonna“. Ein Mann zwischen gestern und morgen.

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