Nicht nur die Götter müssen draußen bleiben

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Musikalisch gefeiert, szenisch ausgebuht: Christoph Willibald Glucks "Iphigénie en Aulide“ im Theater an der Wien und seine "Alceste“ als erste Saisonpremiere an der Wiener Staatsoper.

Am Schluss verzeihen die Götter, verzichten auf die Opferung Iphigénies, die ihren Achille in die Arme schließen kann. Alle huldigen der Göttin Diana. Der Wind ist wieder aufgekommen, Agamemnon und seine griechischen Krieger können aufbrechen, um den Raub Helenas durch den trojanischen Königssohn Paris zu rächen. So sieht es das Libretto vor, auf das Christoph Willibald Gluck seine "Iphigénie en Aulide“ komponiert hat. Nicht so im Theater an der Wien, wo vor eineinhalb Jahren (vgl. DIE FURCHE 11/10) Torsten Fischer bereits Glucks "Iphigénie en Tauride“ sehr überzeugend in Szene gesetzt hat.

Krieg, Mord und eine verfluchte Familie ist sein Ansatz für Glucks "Iphigénie en Aulide“. Eine zeitlose Thematik, was er dadurch betont, dass er die Handlung in einem schmucklosen Beton-Glas-Palast (Bühnenbild: Vasilis Triantafillopoulos) spielen lässt, der mitunter Züge einer Raffinerie annimmt. Als Metapher, dass heute immer wieder Öl als Argument für Kriege genommen wird. Gewehre, Uniformen (Ausstattung und Dramaturgie: Herbert Schäfer) dominieren die Szenerie, Videos (David Haneke) blenden Gesichter ein, am eindringlichsten das von Ungewissheit erfüllte Agamemnons.

Szenischer Kontrapunkt zur Musik

Dramatik ist ab der ersten Minute angesagt. Sie löst sich auch nicht, denn bei Fischer gibt es kein Happy End, das kriegerische Gemetzel geht weiter. Da bleibt kein Platz für menschliches Miteinander. Glucks "Iphigénie en Aulide“ als Spiegelbild einer Gesellschaft, der - oft sinnloses - Erobern mehr bedeutet als die Besinnung auf das Humane. Menschliche Abgründe dominieren über jegliche Vernunft, die Götterwelt wird in den Hintergrund des Geschehens gerückt, und mit der Finallösung wird Glucks auf Humanismus zielende Musik bewusst kontrapunktiert.

Mit Bo Skovhus als etwas starrem Agamemnon, Michelle Breedt als inniger Clytemnestre, der sich nach und nach frei spielenden, höhensicheren Myrtò Papatanasiu in der Titelpartie, Paul Groves als angestrengtem Achille waren so internationale wie unterschiedlich ihren Ansprüchen genügende Protagonisten aufgeboten. Alessandro De Marchi sorgte an der Spitze der sorgfältig studierten Wiener Symphoniker und des gewohnt präsenten Arnold Schoenberg Chors vor allem nach der Pause für die entsprechende Dramatik.

Einer gluckschen Reformoper galt auch die erste Saisonpremiere der Wiener Staatsoper. Im Gegensatz zum Theater an der Wien war es keine Neuproduktion, sondern die Adaption jener "Alceste“-Aufführung, die vor zwei Jahren beim Festival in Aix-en-Provence zu sehen war. Von dort kamen auch das fabelhaft flexibel agierende Freiburger Barockorchester und der Dirigent, Ivor Bolton, der für ein stilistisch makelloses, stets spannendes Dirigat sorgte, sowie der Regisseur, Christof Loy.

Wie Torsten Fischer versetzt auch er die Szenerie in die Gegenwart. Auch bei ihm bleiben die Götter draußen, selbst wenn er dies nicht so explizit sehen will. Aber was hat ein Hercule (bemüht Adam Plachetka) im genuinen Sinn Göttliches an sich, wenn er zum Onkel aus Amerika umgedeutet wird, der mit Koffern die Heimreise antritt? Was ein Oberpriester, der "demagogisch mit dem Mittel Angst arbeitet und den Menschen Selbstvertrauen nimmt“ (Loy)?

Auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft

Auch zur partnerschaftlichen Liebe - in "Alceste“ (gespielt wird die spätere französische Fassung) geht es darum, dass eine Frau sich für ihren Mann als Opfer hingeben will, auch wenn es dann dazu nicht kommt - hat Loy eine eigenwillige Sicht. Durch die - wie er es zeigt - dem erwarteten Tod des Mannes vorausgegangene Krankheit sei sie mittlerweile zerrüttet, äußere sich bloß über das Leiden. Was erklärt, warum am Schluss die vom Schicksal befreiten Partner, Admète (rollendeckend Joseph Kaiser) und Alceste (emphatisch, mit einigen Unsicherheiten in der Höhe Véronique Gens), so gar keine spontane Euphorie zeigen und mit dem in dieser Szenerie als Ansammlung von Kindern gezeigten Chor (gut studiert der Gustav-Mahler-Chor) nicht in eine helle, sondern eine ungewisse, wenn nicht dunkle Zukunft schreiten.

Gluck als Botschafter eines finalen Pessimismus? Wenigstens dann, wenn man seine Libretti so fatal umdeutet wie Fischer und Loy und sich von der differenzierten Rhetorik seiner gedankenvollen Musik nicht leiten lässt.

Weitere Termine "Iphigénie“

16., 18., 22. November

Weitere Termine "Alceste“

15., 18., 22., 26. November

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