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"Die Bakchantinnen" von Egon Wellesz im Rahmen des Schwerpunktes "Exilkomponisten" bei den Salzburger Festspielen.

Die immense Bedeutung von Egon Wellesz für die Musik nicht nur des 20. Jahrhunderts zeigen bereits die biografischen Eckdaten: Als Sohn ungarischer Eltern wurde Wellesz 1885, im selben Jahr wie Alban Berg, in Wien geboren. 1908 dissertierte er in Musikwissenschaft an der Universität Wien bei Guido Adler über den italienischen Opernkomponisten Giuseppe Bonno, einen Zeitgenossen Glucks. Mit "Studien zum Wiener Operntheater" erwarb er 1913 die Dozentur. Durch die Entzifferung der byzantinischen Notation gelangte Wellesz 1916 zu schlagartiger Berühmtheit. 1932 wurde ihm als erstem österreichischen Komponisten nach Haydn das Ehrendoktorat für Musik an der Universität Oxford verliehen, wo er nach seiner Emigration 1938 als Professor für Musikgeschichte wirkte.

112 Kompositionen

Aufgewachsen im Wien des Fin de Siècle, waren es literarische und musikalische Einflüsse, die die Entwicklung des Komponisten, der kurze Zeit bei Schönberg Privatunterricht nahm, entscheidend prägten: Mahlers kompromisslose Hofopernproduktionen, die Sensibilität der Dichtungen Hofmannsthals und zeitgenössischer Lyrik. Auch Wellesz' wissenschaftliche Entdeckungen hinterließen Spuren im kompositorischen Ruvre, das 112 Opera - Lieder, Kammermusik, Bühnenwerke und Symphonien - umfasst: intensives Melos und Einfachheit sind die beiden Hauptcharakteristika seiner Musiksprache.

Die Oper "Die Bakchantinnen" nach Euripides, 1929 in Altaussee, Wellesz' bevorzugtem Sommerdomizil, begonnen, wurde 1930 fertiggestellt. Mit Klängen tobender Leidenschaft, deren Auflösung in rhapsodische Formlosigkeit blockartig eingeschobene Chöre verhindern, thematisiert das Werk den Konflikt zwischen weltlicher und göttlicher Macht. Das von Wellesz verfasste Libretto verleiht Dionysos positiv-christliche Züge und verdeutlicht damit eine religiös grundierte, von ethischer Verantwortung geprägte Position: Bändigung des Formlosen, des Negativen, galt Wellesz als Hauptaufgabe des religiösen Menschen. Frappierend aktuell wirkt heute die Klangkonstruktion: Über weite Strecken unisono konzipiert, führen die durchsichtigen, scharfen Klänge zu einer Umwertung tonalen Ausdrucks: Konsonanz wird dissonant.

Stand in der englischsprachigen Welt zu Lebzeiten mehr der Gelehrte Wellesz als der Komponist im Zentrum öffentlichen Interesses, waren erfolgreiche Aufführungen seiner Werke in Deutschland und Österreich bis zu seinem Tod 1974 an der Tagesordnung. Im aktuellen Musikleben sind sie jedoch zu Unrecht eine Rarität geworden.

Christlicher Dionysos

Auch der Aufführung der "Bakchantinnen" in Salzburg, eingebettet in Ruzickas programmatischen Schwerpunkt "Exilkomponisten", mangelte es bereits vorab an Durchschlagskraft: Die Finanzen reichten bloß für eine einzige konzertante Realisierung. Erfreulich, dass es dem Radio Symphonieorchester Wien unter Marc Albrecht trotz fehlender Szenerie gelang, die dramatische Kraft und lyrische Expressivität der Musik zu verdeutlichen - nicht zuletzt dank der engagierten Solisten, allen voran Eva-Maria Westbroek als bravouröse Agave, wirkungsvoll konterkariert von Raymond Very als unruhig- aggressivem Pentheus. Hervorzuheben weiters der Dionysos Roman Trekels, Georg Zeppenfelds Teiresias und László Polgárs Kadmos. Blass blieb dagegen der Chor der Bakchantinnen, der seine tragende Rolle aufgrund mangelnder Klangfülle und ungenügenden Differenzierungsvermögens nicht voll zur Geltung bringen konnte. Insgesamt zweifellos ein wichtiger Abend, dessen Erfolg allerdings erst daran abzulesen sein wird, ob er Anstoß zu vermehrter Beachtung des Komponisten Wellesz gibt. Dass es - auch neben Mozart - würdige Zeugen der Lebendigkeit österreichischer Musiktradition gibt, hat man jedenfalls bewiesen.

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