Werbung
Werbung
Werbung

"Nun sag', wie hast du's mit der Religion?" - Die bange, sprichwörtlich gewordene, Frage Gretchens an ihren geliebten Faust stand als Generalthema über dem diesjährigen Philosophicum Lech. Wie vertragen sich religiöse Wahrheitsansprüche und das Selbstverständnis säkularer Gesellschaften? Darum kreisten die Vorträge und Debatten am Arlberg. Im vorliegenden Dossier finden Sie u.a. einen Auszug aus dem Vortrag des Frankfurter Philosophen Rainer Forst und ein Interview mit dem in München lehrenden evangelischen Theologen Friedrich W. Graf. Redaktion: Rudolf Mitlöhner Ist, wer glaubt, ein Fundamentalist? Einspruch gegen einen latenten Generalverdacht.

Jan Philipp Reemtsma kam gleich zur Sache: Er zitierte aus einer Predigt des Kölner Kardinals Joachim Meisner, in der dieser einen Bogen vom Bethlehemer Kindermord über den Vernichtungsterror Hitlers und Stalins bis hin zu den millionenfachen Abtreibungen unserer Zeit gespannt hatte. "Wo der Mensch sich nicht relativieren oder eingrenzen lässt, dort verfehlt er sich immer am Leben": Solcherart hatte Meisner einen gemeinsamen Wurzelgrund der drei genannten Übel bezeichnet und diese damit wenn schon nicht gleichgesetzt, so doch zumindest auf eine Ebene gestellt. Und um das so schnell wie wirkungsvoll hingeworfene Bild noch farblich anzureichern, schob Reemtsma die Reaktion Meisners auf die von ihm ausgelöste Empörung nach: Meisner habe von einem Missverständnis gesprochen und in der Drucklegung der Predigt "Hitler" gestrichen … Spätestens mit dieser Pointe hatte Reemtsma natürlich gewonnen.

Um wenigstens hier ein Missverständnis auszuschließen: Zum einen war der Vortrag von Reemtsma, der am Beginn des Philosophicums stand, brillant; der Universalgelehrte, einer breiten Öffentlichkeit durch die von seinem Hamburger Institut für Sozialforschung initiierten Wehrmachtsausstellungen bekannt, sprach über den "Stolz einer säkularen Gesellschaft" und über den zwar gebotenen, aber dennoch schwierigen Respekt einer solchen Gesellschaft für "Religiosität". Zweitens aber kann kein Zweifel daran bestehen, dass Leute wie Meisner, die ja nicht irgendwer in der katholischen Kirche sind, sondern zu deren Spitzenpersonal zählen, jenen "Respekt" tatsächlich schwierig machen. An ihnen liegt es, dass die "Kirche nervt", wie die Zeit jüngst schrieb; und zwar nicht, weil sie so anstößig im Sinne des Evangeliums wäre, sondern weil sie so oft den Menschen - und damit das Evangelium - verfehlt.

Was als "katholisch" gilt

Aber Reemtsma hatte natürlich Meisner mit Bedacht ausgewählt, und es ging ihm offensichtlich gerade nicht darum, den Kölner Kirchenfürsten zu kritisieren. Seine eigentliche Intention war vielmehr, Meisners Position als schlechthin "katholische" darzustellen und damit den Katholizismus im Speziellen und unter der Hand "Religiosität" im Allgemeinen zu diskreditieren. "Wenn Sie über Meisners Satz (Kindermord - Hitler & Stalin - Abtreibungen; Anm.) empört sind - sind Sie dann über diesen Vergleich empört?", fragte Reemtsma suggestiv. "Oder sind Sie darüber empört, dass Meisner katholisch ist?" Im Klartext heißt das: Die Empörung müsste nicht Meisner gelten, sondern dem Katholisch-Sein an sich.

Reemtsma folgte damit einem gängigen Muster antireligiöser Intellektueller und Denker, wonach Glaube per se unter Fundamentalismusverdacht gestellt wird, um ihn dann umso eindringlicher als eine Art Fremdkörper in einer offenen Gesellschaft beschreiben zu können. Dass, um einmal beim Christentum zu bleiben, Meisners Ansichten (nicht nur beim genannten Beispiel) auch bei weitem nicht von allen Bischöfen geteilt werden, geschweige denn von der Mehrheit der Katholiken, und dass es in Schrift und Tradition selbst unzählige Ansätze zu divergierenden, differenzierenden Positionen gibt, wird dabei geflissentlich übersehen. Wohl nicht, weil es Reemtsma & Co. nicht besser wüssten, sondern gewissermaßen aus strategischen Gründen: Man richtet sich den Gegner so her, wie man ihn braucht.

Dennoch: Was Reemtsma über säkulare Gesellschaften sagte, war äußerst bedenkenswert, und man machte es sich zu einfach, wollte man die in seinem Vortrag steckende Provokation leichtfertig vom Tisch wischen. Gläubige Menschen sind hier herausgefordert, dagegenzuhalten - auch wenn es angesichts der Meisners nicht immer leicht ist: "Traurig besonders für die Katholiken, übrigens" schrieb die Zeit zum Nervenden der Kirche zu Recht …

"Eine Art religiöser Haltung"

Gewissermaßen am anderen Ende des Spektrums ist der Grazer Philosoph Peter Strasser angesiedelt. Er geht nicht von der Prämisse aus, dass, wer glaubt, schon in nuce ein Fundamentalist sei, sondern versucht umgekehrt, philosophisches Denken so weit wie möglich für Transzendenz offen zu halten, ohne Glauben und Denken kurzzuschließen. Es gebe auch "in der heutigen Philosophie so etwas wie die Gretchenfrage", diagnostizierte er bei seinem Vortrag in Lech. Sie werde freilich meist, anders als im "Faust", mit "inquisitorischer" Absicht gestellt: etwa um jemanden, der sich gegen reduktionistische Sichtweisen des Menschen ausspreche, als "religiös" und damit philosophisch bestenfalls bedingt satisfaktionsfähig zu demaskieren.

Fausts Antwort auf Gretchens berühmte Frage gilt Strasser indes nicht als billige Ausflucht, sondern vielmehr als Ausdruck intellektueller Redlichkeit: "Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub ihn? Wer empfinden und sich unterwinden zu sagen: Ich glaub ihn nicht?" Mehr lässt sich für Strasser aus philosophischer Sicht nicht sagen. "Weniger" aber auch nicht: Strasser sprach davon, dass "unsere Erfahrungen immer schon ontologische Überschüsse in sich bergen" und schloss daraus, dass Philosophie angewiesen bleibe auf Begriffe, "die religiös sensibel" sind. Wo Reemtsma die "Würde" der säkularen Gesellschaft und des sie tragenden aufgeklärten Subjekts durch Religion tendenziell bedroht sieht, versucht Strasser den Brückenschlag: Er plädierte dafür, "dem Verdacht nicht auszuweichen, ja, wenn es sein muss, ihn provokativ zu bestätigen: Philosophieren heißt, eine Art religiöser Haltung einzunehmen."

Es spricht viel dafür, diesen "Verdacht" dem latenten Generalverdacht, unter dem religiöser Glaube steht, entgegenzuhalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung