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Nachkriegsnot

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Die Not der Kriegsinvaliden in Südtirol ist eines der drückendsten Kapitel in der Geschichte der Deutschen in Südtirol. Ihre Behandlung ist denn auch einer der Hauptpunkte des Memorandums der Südtiroler Abgeordneten und Senatoren sowie deren Verhandlungen mit der Regierung.

Die Zahl der Invaliden der deutschen Wehrmacht, welche die italienische Staatsbürgerschaft wiedererlangt haben und derzeit von der nationalen Vereinigung der Kriegsbeschädigten in Bozen betreut werden, beträgt 1300, wovon 900 über Weisung des Schatzministeriums sowie der Aerztekommission für die Kriegspensionen in Trient bereits amtlich untersucht und für eine bestimmte Kategorie der Invalidität vorgeschlagen sind. Unter ihnen befinden sich mindestens 400 Amputierte und viele Blinde. Die Gesamtzahl der Gefallenen in der deutschen Wehrmacht, deren Angehörige die italienische Staatsbürgerschaft wiedererlangt haben und seit fast neun Jahren auf die Liquidierung der Pension warten, beläuft sich auf über 3000.

Schon im August 1951 Itet die Regierung eine Tagesordnung angenommen, die die Ausdehnung der Kriegspensionsverfügungen auch auf die Angehörigen der Wehrmacht der früheren Regierung von Salò (Republik Mussolinis) vorsah. Die Gesetzesvorlage wurde am 21. Dezember 1951 dem italienischen Senat vorgelegt, aber zur Ergänzung rückverwiesen und neuerlich am 12. Oktober 1953 eingebracht — bis heute aber wurde sie infolge verschiedener Umstände nicht mehr behandelt.

Diese Gesetzesvorlage soll auch die Grundlage für die Behandlung der Südtiroler Kriegsinvaliden bilden. Die Artikel 1 und 2 dieser Gesetzesvorlage gestehen den Soldaten der früheren Republik von Salò, die Kriegsverletzungen erlitten haben, oder den Hinterbliebenen von Gefallenen Kriegspensionen zu, jedoch nur wenn feststeht, daß sie nicht freiwillig Kriegsdienste für die Republik von Salò geleistet haben. Für jene Kriegsinvaliden und Kriegsbeschädigten, die nicht freiwillig in der Republik von Salò gekämpft haben, gelten dieselben Bestimmungen seitens der Opera nationale der Kriegsinvaliden, jedoch mit Ausnahme der obligatorischen Arbeitseinstellung.

Der Artikel 9 dieser Gesetzesvorlage dehnt diese Maßnahmen auch auf jene Südtiroler aus, die in der deutschen Wehrmacht während des Krieges 1939 45 Dienst geleistet und Verwundungen erlitten haben, und im Falle des Todes auch auf deren Hinterbliebenen, falls sie die italienische Staatsbürgerschaft beibehalten oder im Sinne des Gesetzesdekretes vom 2. Februar 1948, Nr. 23, wieder erworben haben.

Das Memorandum stellt sich nun auf den Standpunkt, daß es unbedingt notwendig ist, für die Südtiroler Invaliden und Hinterbliebenen von Gefallenen ein eigenes Gesetz zu schaffen, wie im übrigen die neue Regierung dies auch im Sinne zu haben scheint. Um jedoch die Sache nicht noch weiter in die Länge zu ziehen und den Aermsten endlich die Pensionen bzw. die

Renten zu verschaffen, die den Kriegsinvaliden aller Länder von ihren Regierungen schon lange zugestanden wurden, haben sich die Abgeordneten im Einverständnis mit den Invaliden einverstanden erklärt, daß die Stellung der Südtiroler Kriegsinvaliden und Kriegerswitwen und

-waisen im Rahmen des oben erwähnten Gesetzes für die Angehörigen der Kriegsteilnehmer der Republik von Salò wenigstens vorläufig geregelt werde, jedoch mit einigen Abänderungen, welche sich aus der Sache selbst ergeben, und selbstverständlich mit Vorbehalt der Einbringung eines eigenen Gesetzes für die Südtiroler Kriegsinvaliden, Witwen und Waisen.

Es ist klar, daß die Voraussetzungen sowohl in geschichtlicher, politischer und rechtlicher Hinsicht für die Südtiroler Kriegsinvaliden andere sind als die für die Angehörigen der seinerzeitigen Armee von Salò. Man kann von einer freiwilligen Teilnahme der Südtiroler in der deutschen Wehrmacht im allgemeinen wohl kaum sprechen. Die Einberufung zur deutschen

Wehrmacht erfolgte aus folgenden zwei Gründen:

1. Die Option (Volksabstimmung) des Jahres 1939, die der Bevölkerung aufgedrängt wurde, gab den deutschen Behörden die Möglichkeit, die Optanten ohne weiteres einzuberufen.

2¡ Die Einberufung nach dem 8. September 1943 erfolgte auf Grund der zivilen und militärischen Besetzung der Provinz Bozen automatisch und ohne jeden Einfluß von seiten der Scheinrepublik von Salö, zu der damals die Provinz Bozen ja gehörte.

In beiden Fällen kann daher von einer Freiwilligkeit der Kriegsteilnahme der Südtiroler nicht gesprochen werden. Die Nichtbefolgung der Einberufung hatte auf alle Fälle die standrechtliche Erschießung des Betreffenden zur Folge, wie dies auch in einigen traurigen Fällen tatsächlich geschah.

Es ist auch ungerechtfertigt, die Südtiroler Kriegsinvaliden von einer der wichtigsten Klauseln des Gesetzes zum Schutze der italienischen Invaliden äuszuschließen, nämlich von der obligatorischen Arbeitszulassung, die eine Ergänzung der sehr niederen Pensionen darstellt. Um die Angelegenheit der Kriegsinvaliden, Hinterbliebenen, Witwen und Waisen endlich zu einem wenigstens provisorischen Abschluß zu bringen, schlägt das Memorandum der Abgeordneten zwei Abänderungen der erwähnten Gesetzes-

vorlage vor. Und zwar wird zum Artikel 7 des Gesetzes verlangt, daß die Behandlung der Invalidenfrage nicht vom Tage des Inkrafttretens des Gesetzes, sondern mit Wirkung vom 1. Jänner 1952 an erfolgen soll. Zum Artikel 9 wird verlangt, daß die Bestimmungen des Gesetzes nicht nur dann anzuwenden seien, wenn die Kriegsinvaliden im Sinne des Gesetzes vom 2. Februar 1948, Nr. 23, die italienische Staatsbürgerschaft beibehalten oder wiedererlangt hätten, sondern daß das Gesetz allen Invaliden, Witwen und Waisen von im Kriege Gefallenen zugute kommt, wenn sie überhaupt die italienische Staatsbürgerschaft beibehalten oder wieder erworben haben. Schließlich wird noch verlangt, daß die Südtiroler, auf welche die oben erwähnten Voraussetzungen zutreffen, nicht als freiwillig zur deutschen Wehrmacht Einberufene angesehen werden sollen. Die Beihilfe der Opera nationale für die Betreuung und für die Beratung der Kriegsinvaliden wird für diese Kategorien auch auf die obligatorische Anstellung und Einreihung ausgedehnt, jedoch nur für die Betriebe und für die öffentlichen Unternehmungen der Provinz Bozen. Für jene Südtiroler, die bei Inkrafttreten des Gesetzes die italienische Staatsbürgerschaft noch nicht erlangt haben, beginnt. die Frist zur Einreichung des diesbezüglichen Gesuches mit dem Tage der Wiedererwerbung der italienischen Staatsbürgerschaft.

Daß diese Forderungen der Südtiroler nur allzu berechtigt sind, beweist die leider immer steiler ansteigende Todeskurve der in bitterster Not schwebenden Kriegsinvaliden.

Es ist zu hoffen, daß die Verhandlungen mit der Regierung Scelba endlich auch auf diesem so trostlosen Gebiete einen Erfolg zeitigen und die nur allzu berechtigte Forderung nach Kriegspensionen und Renten endlich von Erfolg gekrönt wird.

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