Tony Blair wäre schlecht für Lissabon-Vertrag gewesen

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Jean-Luc Dehaene ist begeistert, dass Herman Van Rompuy Präsident des Europäischen Rates wird – er entspricht exakt dem Anforderungsprofil. Das Gespräch führte Wolfgang Machreich

Als Vizepräsident des EU-Konvents ist Jean-Luc Dehaene einer der maßgeblichen Gestalter des Vertrags von Lissabon. Und als früherer belgischer Premier mit Herman Van Rompuy als Vize an seiner Seite kann er kompetent über den neuen Präsidenten des Europäischen Rats Auskunft geben. Zwei Gründe, weswegen ihn die FURCHE in seinem Abgeordneten-Büro im neunten Stock des Europäischen Parlaments in Straßburg interviewt hat.

Die Furche: Herr Dehaene, vor sieben Jahren hat der EU-Konvent die Arbeit an einer europäischen Verfassung begonnen, am 1. Dezember tritt der Vertrag von Lissabon in Kraft – zufrieden mit dem Ergebnis?

Jean-Luc Dehaene: Damals stand die EU-Erweiterung vor der Tür und die Union musste zu einem effizienteren Entscheidungsfindungsprozess kommen. Auf Einstimmigkeit zu beharren, ist bei 27 Mitgliedsstaaten ein Ding der Unmöglichkeit. Zudem verlangen die globalen Probleme eine starke und mit einer Stimme sprechende EU. Das waren die zwei Ziele, die wir mit dem Konvent hatten.

Die Furche: Und beides wurde erreicht?

Dehaene: Ja, denn die Vorteile des Lissabon-Vertrags liegen auf der Hand: Intern haben wir einen besseren Entscheidungsfindungsprozess geschaffen, extern können wir diese Entscheidungen besser präsentieren.

Die Furche: Die ursprüngliche EU-Verfassung hat aber viele Federn lassen müssen.

Dehaene: Die Bezeichnung „Europäische Verfassung“ verursachte viele Missverständnisse. Es ist der Verdienst von Frau Merkel und der deutschen Ratspräsidentschaft, zurück zu einem klassischen Vertrag gekommen zu sein. Aber Sie finden in diesem Vertrag alles, was essenziell für die Verfassung gewesen ist. Geändert wurden nur die für eine klassische Verfassung typischen Artikel, die EU-Flagge oder Hymne betreffend …

Die Furche: … ist das nicht bedauerlich, dass das Identitätstiftende gestrichen wurde?

Dehaene: Warum? Es gibt sie ja doch: die Flagge, die Hymne … auch wenn sie jetzt nicht im Vertrag stehen – so what! Dasselbe gilt für den Umstand, dass der Hohe Repräsentant für Außenpolitik nicht mehr Außenminister heißt. Aber die Aufgaben sind die gleichen geblieben. Die Veränderungen waren also nicht so wichtig, das Ergebnis des Konvents ist in seiner Essenz erhalten.

Die Furche: Gilt das auch für die Besetzung der beiden neuen EU-Spitzenposten. Ist Herman Van Rompuy die richtige Wahl?

Dehaene: Konventspräsident Giscard d’Estaing wollte ursprünglich einen EU-Präsidenten nach französischem Vorbild …

Die Furche: … einen starken Präsidenten?

Dehaene: Einen sehr starken, nach außen sehr sichtbaren Präsidenten. Wir waren dagegen, denn das Zentrum der EU ist nicht der Europäische Rat, sondern die Kommission und das Parlament. Der Kompromiss war: d’Estaing akzeptierte einen EU-Außenminister, dafür gestanden wir ihm einen heruntergestuften Ratspräsidenten zu. Als ich von Van Rompuys Wahl hörte, war ich begeistert. Nicht nur, weil ich Belgier bin, sondern weil ich ihn sehr gut kenne und weiß, dass er die ideale Besetzung ist. Er ist prädestiniert als Moderator und geeignet, die europäische Sache im Rat voranzutreiben. Ganz anders als Tony Blair.

Die Furche: Der wäre mehr ein Präsident im Sinne von d’Estaing gewesen.

Dehaene: Aber das widerspricht dem Lissabon-Vertrag. Deswegen habe ich stark gegen Blair opponiert. Ich bin froh, dass wir mit zwei Personen starten, die nicht so bekannt sind. Sie können nur an Statur gewinnen. Mit ihnen ist es möglich, den Lissabon-Vertrag besser umzusetzen. Der Text ist das eine, die Implementierung das andere. Wir müssen erst das im Vertrag vorgesehene Gleichgewicht zwischen den EU-Institutionen finden. Mit Tony Blair als Präsident wäre uns das sehr schwer gefallen. Da wären wir in ein paar Monaten völlig woanders gewesen. Van Rompuy und Lady Ashton aber sind keine Egoisten, die dem EU-Kommissionspräsidenten die Show stehlen. Und das ist wichtig und gut für Europa.

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