Ein Schaf geborgt, ein Vater geschenkt

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Der Hund ist die Vorhut, dann kommen die Schafe, zuletzt Sergej. Langsam wandert der Trupp den Hügel hinab, es ist kalt, aber sonnig, zur Eile gibt es keinen Grund. Dass Sergej Zeit hat und sie hier verbringt, in Tabara, seinem Heimatort, ist ungewöhnlich. Zwanzig Jahre lang war der Moldauer Gastarbeiter in Moskau, arbeitete am Bau, schickte Geld nach Hause. Seine drei Kinder besuchte er nur alle paar Monate. Und wenn er da war, blieb er nur kurz.

Doch dann kam Victoriza, die jüngste, vor genau vier Monaten, und mit ihr kamen die Schafe. Seit der Geburt seiner Tochter war Sergej nicht mehr in Moskau, jetzt ist er Schafzüchter, auf den Weiden vor Tabara. Zum ersten Mal in seinem Leben kann er gleichzeitig seine Familie versorgen und bei ihr sein.

Die Herde gehört ihm nicht alleine, fünf Familien verwalten sie gemeinsam, sie sind eine Genossenschaft. Es gibt Dienstpläne, die regeln, wer die fünfzig Schafe auf die Weide bringt, wer melkt. Die Milch wird gerecht verteilt, Sergejs Frau macht daraus Käse, den sie im Dorf verkauft. Neun Schafe besitzt Sergejs Familie, so steht es im Vertrag, den der 37-Jährige heute mitgebracht hat. Rund 70 Euro kostet ein Schaf. Mit seinem unregelmäßigen Bauarbeitergehalt aus Moskau wäre eine ganze Herde eine utopisch hohe Investition für ihn gewesen.

Starthilfe gab ihm Concordia, eine österreichische Hilfsorganisation. Sie stellte den Familien die ersten Schafe zur Verfügung, als Darlehen. In spätestens fünf Jahren muss Sergej neun Mutterschafe zurückgeben, auch das regelt der Vertrag, den er unterschrieben hat.

Leitungswasser für 20.000 Menschen

Für Michael Zikeli, der mit seiner Lebensgefährtin Bettina Schörgenhofer seit 2012 die Concordia-Projekte in Moldau leitet, sind es Konzepte wie die Mikrokredit-Schafe, die erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit ausmachen: "Wir unterstützen Menschen dabei, sich selbst eine Zukunft zu schaffen", sagt er.

Seit zehn Jahren ist Concordia in Moldau aktiv, ebenso lange ist das Land Schwerpunktregion der bilateralen österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Wie ein Land in den Fokus Österreichs rückt, variiert. In manchen Regionen, wie etwa Burkina Faso, gibt es eine lange Tradition von Entwicklungshilfe aus Österreich, die die öffentliche Unterstützung nachgezogen hat. In Uganda war es eine politische Entscheidung, Präsident Museveni auch durch Strukturentwicklung zu unerstützen. In Moldau war es die blanke Armut, die die entwicklungspolitische Aufmerksamkeit auf sich zog. Im Human Development Index erreicht die Republik den 113 Rang von 186, sie ist damit das am wenigsten entwickelte Land Europas.

"Armutsbekämpfung ist oberste Priorität der Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb ist es logisch, dass man hier arbeitet", meint Gerhard Schaumberger. Er leitet seit zweieinhalb Jahren das Koordinationsbüro der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (ADA) in der Hauptstadt Chişinau. "Es gibt noch viel zu tun. Aber es wurde auch schon viel erreicht", sagt er.

Seit 2004 hat Österreich insgesamt 18 Millionen Euro in Entwicklungsprojekte investiert, ein Fokus liegt dabei auf dem Wassersektor. Im südlichen Bezirk Nisporeni werden 20.000 Menschen erstmals mit Leitungswasser in der Wohnung versorgt: "Wenn Krankheiten zurückgehen, weil das Wasser sauber ist und Menschen nicht mehr auf einen Ziehbrunnen angewiesen sind, stellt das eine immense Verbesserung dar", sagt Schaumberger: "Und gute Lebensbedingungen sind ein wichtiger Faktor, der die Leute hier im Land hält."

Auf die Weide kommt nun auch Victoriza, im Arm ihrer Oma, eingewickelt in dicke Decken. Sergej streicht ihr über die Wange, strahlt sie an. Sie ist seine große Liebe. Nach Moskau, hofft er, wird er so bald nicht mehr fahren. Wenn seine Schafzucht funktioniert, kann er dabei sein, wenn Victoriza groß wird: "Die Beziehung zu meiner Frau und meinen Kindern hat sich in den letzten Monaten stark verbessert", erzählt er.

Zerrissene Familiengeschichten wie die von Sergej sind in Moldau die Regel, nicht die Ausnahme. Jeder vierte Moldauer arbeitet im Ausland, in so gut wie jeder Familie gibt es einen oder zwei Erwachsene, die anderswo Geld verdienen. Zurück bleiben die Kinder, die Alten, überforderte Alleinerzieherinnen. Weil es weder Jugendwohlfahrt noch Altersheime gibt, kümmert sich Concordia auch um sie. Mit insgesamt 3 Millionen Euro in drei Jahren werden die Sozialservices von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Dazu kommen Spenden, 2,4 Millionen alleine im Vorjahr.

Sozialprojekte öffnen den Fokus

Ursprünglich liegt der Concordia-Fokus auf Kindern. Die Organisation wurde 1991 von Pater Georg Sporschill ins Leben gerufen, um Straßenkindern in Rumänien zu helfen, später wuchs sie auch nach Bulgarien und Moldau. Dort war das "Kerngeschäft" lange Zeit in Pirita. Das Dorf liegt zwar nur eine Autostunde vor Chisinau, doch der Trubel der Hautstadt ist eine Ewigkeit entfernt. Gänse laufen über die unbefestigte Dorfstraße, nur selten müssen sie Pferdefuhrwerken weichen. Hier baute Concordia ein ehemaliges Jugendpionierlager zum "Dorf der Kinder". Großzügige Sponsoren aus Österreich sorgten dafür, dass die Häuser nirgends so hübsch, die Wege nirgends so glatt betoniert sind wie hier. 170 Kinder leben hier in familienähnlichen Wohngruppen, ihre Eltern sind tot, nicht gut für sie oder im Ausland.

"Es ist gut dass es diesen Ort gibt", sagt Michael Zikeli, "aber wir wollen nicht, dass Kinder aus finanziellen Gründen ins Waisenhaus müssen." Zikelis Team setzt alles dran, das zu verhindern. Seit er das operative Concordia-Geschäft in Moldau übernommen hat, erweitert er den Fokus der Organisation auf Familien in Notlagen: Einer Familie, die monatelang in einer alten Autokarosserie hauste, half Concordia dabei, Grund und Materialien für ein eigenes Haus zu organisieren. Einer überforderten Mutter, deren Mann im Ausland arbeitet, gaben Hasen, die einen alten Stall bevölkern, eine neue Perspektive. In Familienzentren bekommen Frauen Tee, Wärme, aber vor allen sozialpädagogische Unterstützung, Antworten auf erzieherische Fragen, im Notfall einen Schlafplatz. "Oft ist schon viel geholfen, wenn sich jemand nicht mehr allein gelassen fühlt", sagt Zileki.

Nachwuchsbauern und Neo-Winzer

Die Expansion von Concordia in Moldau trägt nicht nur bildliche Früchte: "Das ist unseres", sagt Zikeli stolz und zeigt auf Brachland, auf dem noch Gras und Büsche wuchern. Ab März sollen hier aber Kartoffeläcker, Kukuruzfelder und Hühnerställe angelegt werden. Auf 70 Hektar entsteht ein landwirtschaftlicher Modellbetrieb, der einen doppelten Zweck erfüllen soll: Einerseits soll die Ernte die Kinderhäuser, Suppenküchen und Tageszentren von Concordia mit Lebensmitteln versorgen und damit Geld sparen. Andererseits soll die Landwirtschaft den Leuten aus dem Dorf eine Arbeit und den Jugendlichen aus den Concordia-Häusern eine Ausbildungs geben: "Es geht um Know-how-Transfer und das Schaffen von neuen Bildern. Das kann weitreichende Effekte haben", meint Zikeli.

Die Weinproduktion etwa war in Moldau - obwohl es eine jahrhundertealte Weintradition gibt -bis vor kurzem eher sowjetisch organisiert: In großen Betrieben wurde Massenware hergestellt, die Rolle von Weinbauern und Produzenten war streng getrennt. Eine österreichische Weinschule in Nisporeni, dem Bezirk, wo gerade Wasserleitungen verlegt werden, trägt deshalb dazu bei, dass es im Weinland Moldau nun die erste Winzer-Generation gibt, die ihren Qualitätswein selbst anbaut, produziert und vermarktet. Berufsausbildung ist neben der Wasserversorgung der zweite Fokus der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Mit der Strabag als Hauptpartner wurde eine Berufsakademie für den Bausektor errichtet, eine weitere Wirtschaftspartnerschaft soll das Risikomanagement für Landwirte verbessern. Auch Concordia startet heuer ein Jobcoaching für soziale Berufe.

Wenn Entwicklungsmaßnahmen so breit gefächert sind, kann auch deren Evaluation von ungewöhnlicher Seite ins Haus flattern: "Im Vorjahr haben genau diese Weine aus Moldau erstmals Medaillen bei internationalen Weinwettbewerben gewonnen", freut sich ADA-Büroleiter Schaumberger. Vielleicht gibt es ähnliche Jubelmeldungen bald auch über die Concordia-Kartoffel oder den Schafkäse von Sergej.

Die FURCHE-Reise nach Moldau wurde von Concordia finanziert. Der Bericht darüber entstand in redaktioneller Unabhängigkeit.

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