Weihnachten in der Stadt der Kinder

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Ausgesetzte Kinder, Jugendliche im Drogenrausch: Nicht nur zu Weihnachten schenken die Concordia Sozialprojekte Chancen. Ein Besuch in Rumänien.

Am Anfang war die Weihnachtsbäckerei. Als Andreas Resch als Zivildiener nach Rumänien kam, schlug er vor, mit den Kindern Kekse zu backen. Das ist sieben Jahre her. Heute lebt Resch immer noch in Rumänien. Mittlerweile hat er eine professionelle Bäckerei aufgebaut, in der er Jugendliche zu Bäckern und Konditoren ausbildet. "Es sind nicht nur die schönen Geschichten, die mich hier halten, sondern auch die negativen“, sagt er. Seine Lehrlinge haben allesamt brüchige Biografien. Viele lebten auf der Straße, bevor sie in dem Sozialprojekt der Concordia unterkamen. Sie sind motiviert, auch talentiert - doch manche haben trotzdem Schwierigkeiten, sich im geregelten Leben zurechtzufinden. "Wenn jemand die Ausbildung abbricht, weil es ihn auf die Straße zurück zieht, bekräftigt mich das, meine Arbeit weiter zu machen“, sagt Resch. "Umso größer ist der Erfolg, wenn er nach einiger Zeit wieder auftaucht.“ In Ploiesti, 60 Kilometer nördlich von Bukarest, bekommen die Jugendlichen nicht nur eine Ausbildung und einen Platz zum Schlafen, sondern vor allem: Chancen. Davon haben die meisten von ihnen in der Vergangenheit nicht besonders viel gehabt.

In der "Stadt der Kinder“ leben 84 Kinder in familiären Kleingruppen. Dazu kommen 24 Jugendliche, die im "Haus Abraham“ wohnen und einen Beruf lernen. Weitere hundert Kinder finden auf der "Farm der Kinder“ ein neues Zuhause. Die Älteren kommen oft direkt von der Straße. Die Jüngeren werden meistens vom Jugendamt vermittelt. Manchen werden auch gefunden: "Vor Kurzem haben uns Nachbarn auf fünf kleine Brüder aufmerksam gemacht, die zwei Monate lang alleine lebten. Der Vater war im Gefängnis, die Mutter kam nicht mehr nach Hause“, erzählt Elvira Matache, die die "Stadt der Kinder“ leitet. Es kommt auch vor, dass Eltern ihre Kinder selbst beim Jugendamt abgeben, weil sie nicht mehr für sie sorgen können.

"Mama“ und "Tata“

Bei Concordia finden diese Kinder eine neue Familie. Sie wohnen in kleinen Familiengruppen, nennen die Erzieher "Mama“ und "Tata“, gehen in die Schule oder den Kindergarten, später machen sie eine Berufsausbildung. "Alterslimit gibt es bei uns keines. Wir begleiten die Jugendlichen bis zur Selbstständigkeit“, erklärt Ulla Konrad, die seit März sozialpädagogische Concordia-Chefin ist.

Viele Jugendliche haben den Großteil ihres Lebens in der Concordia-Familie verbracht. Einer von ihnen ist der 17-jährige Florim, der gerade eine Ausbildung zum Koch und Kellner macht. Seit er acht ist, lebt er in Häusern des Hilfsprojekts. Seine Mutter saß im Gefängnis, nachdem sie ihr Neugeborenes umgebracht hatte. Der Vater hatte mit einer anderen Frau eine zweite Familie und wollte nichts von Florim und seiner Zwillingsschwester wissen. Die beiden landeten auf der Straße - und dann bei Concordia. Weihnachten feiert Florim schon zum neunten Mal dort. "Am 24. Dezember gibt es ein kleines Fest in unserem Haus. Wir haben einen Christbaum und singen Weihnachtslieder“, erzählt er und stimmt zum Beweis "Kling, Glöckchen, kingelingeling“ an. Richtig festlich wird es am ersten Weihnachtstag. Dann treffen sich mehrere hundert Kinder aus allen Concordia-Häusern im Turnsaal der "Stadt der Kinder“ zur Messe und führen ein Krippenspiel auf. Auch der Mensch im Bärenkostüm, der in Rumänien traditionell zu Trommelmusik auftanzt, ist dabei. Für die Kinder gibt’s Geschenke - heuer spielt die Stadt Wien Christkind und finanziert die Wünsche aus den Kinderbriefen. Handschuhe, Puppen, ferngesteuerte Autos sind dabei. Florim hat sich dieses Jahr nichts gewünscht: "Ich bin ja kein Kind mehr“, sagt er, und es klingt stolz.

Drogensucht treibt auf die Straße

Einen sehr konkreten Wunsch hingegen hat Costin Nedelku: "Ich wünsche mir, dass wir ein Rehabzentrum aufbauen. Außerhalb von Bukarest, weit weg von der Szene.“ Nedelku ist Streetworker im Concordia-Sozialzentrum Lazarus in der rumänischen Hauptstadt. Regelmäßig besucht er die obdachlosen Jugendlichen am Nordbahnhof oder im Kanalsystem. Mehrere hundert von ihnen leben dort. Wenn es ihm gelingt, sie ins Sozialzentrum zu locken, ist der erste Schritt gemacht. Dort bekommen sie etwas zu essen, ein Bett, können duschen, sich untersuchen lassen. Und sie können ihre Zeit dort verbringen, Fußball spielen, reden, singen. Heute werden Weihnachtsengel gebastelt, aus dem Laptop tönen Weihnachtslieder in Karaoke-Version.

Zwischen 60 und 70 Jugendliche übernachten täglich hier. Wer länger bleibt, kann in andere Concordia-Häuser übersiedeln, um dort ein echtes neues Zuhause zu bekommen. Nicht alle schaffen das: "Die Drogensucht treibt sie zurück auf die Straße“, sagt Nedelku. Schuld ist die neue Droge "Pur Magic“, eine Mephadron, das als Pflanzendünger oder Badesalz vertrieben wird. Nur ein paar Euro kostet eine Dosis der gefährlichen Chemieabfälle, die Wirkung hält nicht besonders lange, die Abhängigkeit ist dafür massiv. Weil der Drang so stark ist, wird die Spritze oft geteilt: "Vor vier Jahren war es eine Ausnahme, das unsere Jugendlichen HIV infiziert waren. Jetzt sind es die meisten“, sagt Nedelku. Ulla Konrad gefällt seine Idee vom Entzugszentrum: "Wir müssen in die Tiefe gehen. Alle unserer Kinder und Jugendlichen haben Gewalt- oder Missbrauchserfahrung.“ Auch wenn Nedelkus Wunsch diese Weihnachten noch nicht erfüllt wird, ist das Fest im Haus Lazarus etwas Besonderes. Am Heiligen Abend werden alle Jugendlichen von der Straße eingeladen. 250 kamen im letzten Jahr. Es wird gesungen, gebetet, gemeinsam gegessen. Krautrouladen mit Polenta und Sauerrahm. Und Weihnachtskekse aus der Bäckerei von Andreas Resch.

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