MACHTSPIELE aus Stahl und Beton

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Ein neunzehn Kilometer langes silbernes Band spannt sich über die Meerenge von Kertsch, massive Stahlträger bohren sich bis zu fünfzig Meter tief in den Meeresgrund. Die Krim-Brücke ist die Antwort des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Krim-Frage: sie zementiert den neuen, international nicht anerkannten Status quo der Halbinsel unter russischer Führung. Die Einreise auf das okkupierte Territorium der Krim über Russland ist nach ukrainischem Recht verboten. Jeder Besuch gilt als stillschweigende "Billigung der Russischen Föderation als Staatsaggressor" und als "Missachtung der Souveränität und Integrität der Ukraine".

Der ukrainisch-russische Grenzübergang ist ein Hochsicherheitstrakt aus Stacheldraht und Metall. Nach stundenlanger Fahrt über düstere Straßen stößt man hier auf eine Realität, in der die russische Besatzung nicht länger Abstraktion ist. Grelles Scheinwerferlicht blendet, aus dem Schatten des ersten Wachhäuschens tritt ein ukrainischer Grenzsoldat. Zwischen beiden Kontrollzonen liegen mehrere hundert Meter unbeleuchteter Asphalt. Die Distanz zwischen den Grenzlinien hier steht stellvertretend für die Brutalität des Krieges im Donbass. In diesem politisch überhitzten Raum verschmelzen die Metallzäune mit mannshohem Gebüsch, Stacheldrahtspiralen lauern unscheinbar im Gras.

Die Grenze, die es nicht gibt

Eigentlich dürfte es diese Grenze gar nicht geben. Denn: Die Annexion der Krim durch Russland gilt als völkerrechtswidrig. An den Außengrenzen der Krim materialisiert sich seitdem die Ausdehnung des russischen Machtbereichs. Die Grenzanlage mitten im Nirgendwo des spärlich besiedelten ostukrainischen Flachlands ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite vereint die "Krim-Brücke" jene großen Versprechen, die Putin seinen Wählern im Frühjahr 2014 gemacht hat -eine bessere Anbindung der Halbinsel an Russland, wachsende Tourismuszahlen, reibungsloser Warenverkehr.

Deutlich wird das in Kertsch, traditionell kein Tourismusstandort, sondern eine Industriestadt. Die Brücke habe der wirtschaftlichen Entwicklung auf der Halbinsel einen "kräftigen Stimuli" gegeben, heißt es aus dem "Verkehrsministerium der Republik Krim" - gleichzeitig sei jedoch die Nachfrage des Fährtransports gesunken.

Bisher war der Fährhafen von Kertsch die einzige Möglichkeit, auf direktem Wege von Russland aus auf die Krim überzusetzen. Es ist der traditionelle Fährbetrieb, seit den 1950ern fester Bestandteil der Hafenstadt, unter den nun ein Schlussstrich gezogen werden soll.

Drei Fähren liegen am Anlegesteg, im Steuerhaus der Protoporos steht Kapitän Alexei. Er hat nichts zu tun -sein Schiff steht still. "Die Brücke wurde geöffnet und wir stehen auf Stand-by", sagt er, den Blick sehnsüchtig in Richtung Port Kawkas an der russischen Küstenlinie gerichtet.

Seit 2014 navigiert er hin und her zwischen den Häfen Kawkas, Krim und Kertsch, immer auf der Meerenge zwischen Russland und der Krim. "Schön war es diesen Sommer", meint der Kapitän. Er weiß, dass das wahrscheinlich der letzte Sommer gewesen ist. "Das Schiff war immer voll -Belarussen, Ukrainer, Usbeken, Armenier, Deutsche und natürlich Russen. Wir haben gut gearbeitet." Gegen die stählerne Konkurrenz haben die Fähren allerdings keine Chance: 18,5 Millionen Passagiere wurden in den vier Jahren des Hafenbetriebs befördert und etwa vier Millionen Pkws. Allein seit der Eröffnung Mitte August sind offiziellen Angaben zufolge bereits jetzt knapp 2,3 Millionen Autos über die Brücke gefahren.

Für diejenigen Krim-Bewohner, die sich Russland zugehörig fühlen, ist die Brücke längst zu einem Symbol avanciert -an ihr können sie sich festhalten, ihre Errichtung konnten sie im Online-Livestream oder auch auf dem zentralen Lenin-Platz in Kertsch verfolgen. An dem plakatgroßen Screen auf massiver Stehle bleiben trotzdem nur wenige Blicke hängen -an die Bilder, die auch ein halbes Jahr nach der Brückeneröffnung noch von ihrem Bau erzählen, haben sich die Leute längst gewöhnt. Ein Rentnerpaar lädt ein in sein Haus am Asowschen Meer, zwanzig Autominuten vom Zentrum entfernt. Hühner begrüßen die Besucher, Weinreben umranken die liebevoll zusammengezimmerten Mauern. Nina und Aljoscha sind Putin-Anhänger -jeden Abend schauen sie das propagandagetränkte Staatsfernsehen, hängen an den Lippen des russischen Präsidenten. "Mit dem Brückenbau wird Putin in die Geschichtsbücher eingehen", sagt Nina, während Aljoscha den Gästen hausgemachten Wein einschenkt, den Ertrag der letzten Ernte. Auf dem Etikett stehen zwei Wörter: "Krim Nasch", Russisch für "Unsere Krim".

Die Fischer und die Geopolitik

Geht man in diesen Oktobertagen an den Stränden von Kertsch spazieren, kann man Fischerboote beobachten und Dutzende Frachtschiffe. Bewegungslos stehen sie auf dem Wasser, als seien sie am Horizont aufgereiht. Außerdem im Sichtfeld: schwarze Militärschiffe, die sich wie Fremdkörper in die Idylle schieben. Auf dem Wasser spielt sich Geopolitik ab -live. Das Binnenmeer, dessen einzige Anrainerstaaten Russland und die Ukraine sind, ist zu einem heißen Konfliktherd avanciert, wie die Ereignisse der vergangenen Tage gezeigt haben. Die Festnahme ukrainischer Seeleute kommt nicht überraschend. Seit Juli kontrolliert der russische Grenzschutz verstärkt ukrainische Frachter auf dem Asowschen Meer.

Sieben Fischer der Brigade des Dorfes Jurkinje auf Kertsch sind mit dem Ausbessern ihrer Netze beschäftigt. "Die großen Fischerboote der Ukraine haben das Asowsche Meer leer gefischt", sagt Wassili. Außerdem leide die Wasserqualität unter der Schwerindustrie der nahegelegenen Hafenstädte - bis zur ukrainischen Uferseite seien es etwa 80 Kilometer. Aljoscha, der Putin-Anhänger vom Dorf, lenkt seinen weißen Wolga aus Kertsch heraus durch steppenartige Felder - der Brücke entgegen. "Hier wurden Häuser abgerissen und dort", er deutet auf zwei gelbe Häuserblöcke, "hat man neue Wohnungen für die Anwohner bereitgestellt."

Die Straße wird zur Brücke, wenige Autos schießen vorbei. Der Wolga -ein robustes Auto für Kenner, erklärt der Rentner - gleitet geschmeidig über den Asphalt. Wie schnell er fahren dürfe, was auf den Schildern stehe? Aljoscha möchte alles richtig machen: Er fährt zum ersten Mal über die Brücke, die Putin ihm geschenkt hat. "Siebzig Jahre haben wir darauf gewartet", flüstert er leise.

Kaum am anderen Brückenende angelangt, hätte der Rentner am liebsten wieder kehrtgemacht. Weinberge vor dampfenden Fabrikgebäuden, bröckelnde Häuserlandschaften: Das ist das südrussische Taman. Im Café des Hotels Kapitän auf der Karl-Marx-Straße sitzen drei Mädchen am Tisch, gebeugt über ihre Smartphones.

"Was sich mit der Brücke geändert hat? Nichts zum Besseren, im Gegenteil", sagt die Tochter der Hotelbesitzerin. "Die Leute fahren vorbei und niemand hält an, wir haben kaum noch Gäste. Taman ist eine Industriestadt, sie hat nichts zu bieten - kein Kino, keine Cafés. Die Leute wollen auf die Krim, dahin, wo es schöne Strände gibt."

In der Fußgängerzone von Kertsch gibt es eine kleine Bierstube. Sechs Jungs, Marinestudenten, sitzen auf zwei Sofas, trinken gezapftes Bier aus Plastikflaschen. "Die Brücke? Die wird bald zusammenbrechen", sagt einer von ihnen. Man habe zu schnell gebaut, zu billig. "Ach Quatsch", sagen die anderen. Die, die aufs Meer wollen, haben nichts Gutes für die Brücke übrig. Schließlich sehe die Situation an den Häfen schlecht aus - Kertsch verliere weiter an Bedeutung.

Leben mit zwei Pässen

2014 wurden die Krim-Bewohner automatisch zu russischen Staatsbürgern, nur wenige lehnten den russischen Pass ab. Gleichzeitig behielten die meisten Krimtschani ihren ukrainischen Pass. So auch Sascha: "Meinen ukrainischen Pass gebe ich nicht her, die meisten von uns haben zwei Pässe."

Es wird dunkel, man trinkt an gegen die Kälte -mittlerweile auf einem schlecht beleuchteten Spielplatz einer Plattensiedlung. "Hier gibt es nicht viel, fahrt lieber in den Süden - oder besucht das Dirka." Blicke werden gewechselt, als das Codewort fällt -die Jungs unterhalten sich über einen inoffiziellen Treffpunkt der Kertscher Jugend, benannt nach einer Figur der griechischen Mythologie, (der Königin Dirke, die wegen ihrer Gewalttätigkeit bestraft wurde, Anm.). Aus Handylautsprechern schallt Neunzigerjahre-Trash, sie wiegen sich zur Musik - gekämpft wird nur noch um das Passwort für den Internet-Hotspot.

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