Zwischen zwei Orten GEFANGEN

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Zwei Ukrainer aus Österreich erzählen von ihren sorgen und Hoffnungen über ihr Heimatland. Ein Blick aus der Ferne in eine ungewisse Zukunft.

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Zwei Ukrainer aus Österreich erzählen von ihren sorgen und Hoffnungen über ihr Heimatland. Ein Blick aus der Ferne in eine ungewisse Zukunft.

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In seiner Pfarre hätte sich einiges verändert, erzählt Taras Chagala. Der 40-jährige Ukrainer ist Priester der griechisch-katholischen Pfarre von St. Barbara in der Wiener Innenstadt; einer der ältesten ukrainischen Pfarren diesseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Chagala sitzt in seinem prunkvoll eingerichteten Büro an einem riesigen Holztisch. "Es besuchen in letzter Zeit sehr viele Menschen unsere Gottesdienste. Viele, die ich früher nie in der Kirche gesehen habe", sagt er und nennt die derzeitige Krise in seiner Heimat als Grund: "Die Wiener Ukrainer sind verunsichert und suchen Halt." Seit 14 Jahren lebt Chagala in Österreich, seine Gedanken sind derzeit, so wie bei allen seinen Landsleuten, in der Ukraine und auf der Krim. Die Zukunft seiner Heimat ist nach der blutigen Revolution und der Annexion durch Putin ungewiss. Spricht man mit in Österreich lebenden Ukrainern, so zeigt sich das Bild einer Gruppe von Menschen, die jene proeuropäische Einstellung ihrer Übergangsregierung in Kiew zwar teilen, aber in ständiger Ungewissheit leben. Laut Statistik Austria leben hierzulande rund 10.000 Menschen mit ukrainischer Herkunft. Im Jahr 2012 kamen 1100 Ukrainer nach Österreich - über 200 Menschen mehr als nur zwei Jahre zuvor.

Zwischen Nachricht und Sorge

Seit den Ausschreitungen bei den Protesten am Maidan lebt die ukrainische Community in ständiger Sorge um Freunde und Familie in ihrem Heimatland. Das Handy sei ihr ständiger Begleiter, erzählt etwa Tatiana Khomenko und bezeichnet es schon fast als "zwanghaft", wie exzessiv sie und ihre Freunde in Österreich Nachrichten aus der Ukraine verfolgen. Tatiana Khomenko ist 32 und stammt aus der westukrainischen Stadt Lemberg. Vor zwölf Jahren zog sie mit ihrem Mann nach Österreich und begann Medizin zu studieren. Derzeit absolviert sie ihren Turnus. Ihr Ehemann wohnt berufsbedingt wieder in der Hauptstadt Kiew; Tatiana Khomenko ist in Wien geblieben. Auch ihr Mann hat bei den Protesten am Maidan in Kiew teilgenommen. Da würden die Nerven blank liegen, sagt sie. Ihr Mann ist bislang zwar unverletzt geblieben, aber zwei Ukrainer, die am Maidan gewaltsam verletzt wurden, hat die junge Ärztin im Krankenhaus Wien Rudolfstiftung persönlich betreut. Denn viele Verletzte wurden in ost-und westeuropäische Länder zur besseren ärztlichen Behandlung eingeflogen. Sie erzählt, dass sie die Nacht zuvor nicht schlafen konnte, als sie erfuhr, dass zwei Aktivisten aus der Ukraine behandelt würden: "So nervös war ich, dass ich nicht wusste, was ich ihnen sagen sollte." Ein einfaches "Guten Morgen" erschien ihr fehl am Platz. Tatiana Khomenko begrüßt die beiden Männer schließlich mit den Worten "Slawa Ukraini" (Ruhm der Ukraine) und erhält die Antwort "Gerojam Slawa" (Ruhm der Helden) - verheißungsvolle Worte, mit denen jede Rede am Maidan begann und endete. Eine Formel, die von Nationalgefühl und dem Erlangen der Unabhängigkeit verkündet. Genauso wie die zahlreichen Aktivisten am Maidan hofft sie auf eine Zukunft der Ukraine als souveränes Land.

Auch Chagala glaubt zu wissen, was sich die Ukrainer wünschen: Europäische Werte in ihrem Land nun endlich verwirklichen zu können. "Die Rede ist von Demokratie, von einem Rechtssystem und freier Meinungsäußerung", sagt er. Damit soll auch der Korruption ein Ende gemacht werden. Transparency International zeigt die Korruptionswahrnehmung von 2013 in 177 verschiedenen Ländern weltweit und zeichnet ein Bild der Ukraine, bei dem das Land die vordersten Plätze belegt. Russland liegt knapp dahinter. Österreich belegt den oberen Teil der korruptionsfreien Mitte, und Schweden und Finnland gelten als jene Länder mit der geringsten Korruptionsrate. Chagala erzählt von einer Korruption in der Ukraine, die alle Lebensbereiche der Menschen durchdringt: Die besten Schulplätze werden laut dem Priester erkauft, Behörden umgangen, Firmen so weit in den Bankrott gedrängt, dass sie zu Spottpreisen verkauften. Der Priester hofft aber, dass heute eine junge Generation herangereift ist, die frei von postsowjetischen Ideologien sei. "Es gab bei den Ukrainern keine Grenzen nach oben, was Geld betrifft. Alle wollten immer nur noch mehr verdienen. Erst seit den Protesten am Maidan wollen sie diese Korruption nun endlich beenden", sagt auch Khomenko.

Ein Schritt Richtung Europa

Damit könnte die Ukraine auf eine Zukunft als geeintes Land mit demokratischen Werten zusteuern, das auf lange Sicht gesehen auch Teil der Europäischen Union werden könnte. An eine Zukunft in der russischen Föderation glaubt Tatiana Khomenko im Gegensatz zu den prorussischen Separatisten in der Ostukraine und den angeblichen Fanatiker auf der Krim nicht: "Kein Mensch will schlecht leben. Auch dieser Patriotismus ändert sich, wenn man nichts zu essen hat." Eine Anspielung darauf, dass die Krim -die territorial nicht an Russland grenzt -seit dem Anschluss den Versorgungsweg über die Ukraine verloren hat. Auch die Übergangsregierung in Kiew setzt einen ersten Schritt in Richtung Europa: Knapp einen Monat nach den Ausschreitungen am Maidan wurde die politische Präambel des Assoziierungsabkommen mit der Ukraine von den Regierungschefs der EU unterzeichnet. "Jetzt kann alles nur noch besser werden in der Ukraine", sagt Chagala. Die ukrainischen Präsidentschaftswahlen finden am 25. Mai statt. Bis dahein können nur alle weiterhoffen und bangen.

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