Barrikaden der Angst

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Politik und Medien stehen den Revolutionären der Ukraine mit Skepsis gegenüber. Doch es gäbe bessere Strategien, als in Sorge vor Rechtsradikalen zu erstarren.

Der Aufstand in der Ukraine zeigt eine sehr gegensätzliche Innen- und Außensicht. "Innen“ - das ist in diesem Fall der Maidan, der zentrale "Platz der Freiheit“ in Kiew, wo seit Tagen zehntausende Menschen jene Männer und Frauen als "Гepoи“, als "Helden“ feiern, die im Kampf gegen das Regime starben. Außerhalb des Maidan aber, vor allem in westlichen Medien und unter Politikern, hat sich Skepsis breit gemacht. Grund dafür sind die Bilder von maskierten Demonstranten, die Molotowcocktails von den Barrikaden warfen, mit Gewehren und Pistolen auf Polizisten schossen und ihre Gegner gnadenlos mit Eisenstangen verprügelten. Das wiegt schwer. Auch das Argument, dass die Polizei selbst die Eskalation verursacht hat, indem sie wochenlang prügelte, folterte und mordete, verfängt nicht richtig.

Die Welt draußen hasst nämlich nichts mehr als Chaos und Uneindeutigkeit, die Mischung von Opfern und Tätern, von Gut und Böse. Deshalb feiert sie nicht mit dem Maidan. Sie fragt sich ängstlich: "Quo vadis Ukraine?“ (Die Presse) oder titelt zu Mord- und Brandbildern in großen Lettern "Vor unserer Haustür“ (profil).

Bemühungen zur Demokratie

Unter der besorgten Oberfläche aber sprießt das Vorurteil, die Ukraine als Ganzes sei nicht demokratiefähig. Jene, die das offen sagen, scheint es gar nicht zu stören, dass ihre Argumente jenen des gestürzten Regimes und Russlands gleichen, die die Gewalt gegen Zivilisten als "Antiterrormaßnahmen“ sehen. Nichts anderes tun deutsche Links-Politiker, die "den braunen Mob marschieren“ sehen - und damit 40 Millionen Ukrainern unterstellen, in die faschistische Barbarei kippen zu wollen.

Das große Risiko für die Ukraine liegt allerdings nicht in der rechten Gefahr. Es liegt auch nicht in der ukrainischen Innenpolitik. Denn die funktioniert unter diesen Umständen bemerkenswert gut: Seit Samstag versuchen die gewählten Abgeordneten des Parlaments (und nicht die Kämpfer vom Maidan) alles, ihr Land auf einen demokratischen Weg zu bringen. Sie haben die Ministerämter neu besetzt, einen Übergangspräsidenten und einen Premierminister eingesetzt, plädieren für die Einheit des Landes, bereiten Neuwahlen vor. Die Politik ist also nicht das Problem. Das größte Risiko für die Ukraine liegt derzeit ganz woanders. Es residiert in Berlin, Brüssel, Washington und Moskau - in der EU, den USA und Russland, kurz überall, wo sie nun fragen: "Können die denn das, die Ukrainer?“

Fallstricke der Diplomatie

Das beginnt bei Wladimir Putin, der weiter versuchen wird, alles zu blockieren, solange er die Hegemonie Russlands gefährdet sieht - vor allem aber, solange er selbst einen Maidan in Moskau fürchten muss. Die anderen beiden Blöcke hingegen zaudern, selbst jene Zusagen zu halten, die sie in der Zeit des Aufstandes gegeben haben. Das diplomatische Chaos, das da entsteht, kommt den Radikalen aller Seiten zugute. Für die Ukraine aber ist es verheerend. Wie schon nach der "Orangenen Revolution“ drohen sich die Lager in Interessensgegensätzen aufzureiben, während sich Korruption und Kleptokratur weiter mästen.

Für die EU und die USA wäre es also höchste Zeit, mit mehr als mit salbungsvollen Worten einzugreifen. Einen Anfang böten jene 35 Milliarden Dollar, die die Ukraine benötigt, um nicht bankrott zu gehen. Diese Finanzhilfe sollte gewährt werden. Sie sollte sich aber auch aus den Milliarden speisen, welche die Vertreter des alten Regimes im Westen - unter anderem in Wien - geparkt haben. Wer sonst, wenn nicht sie, sollten zu den wirtschaftlichen Aufräumungsarbeiten herangezogen werden? Der Westen steht vor der Wahl: Er kann in die Zukunft arbeiten und Taten setzen oder sein Zaudern pflegen. In letzterem Fall aber brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sich die Frage "quo vadis Ukraine“ von ganz allein beantwortet - spätestens dann, wenn in Kiew wieder die Barrikaden brennen.

oliver.tanzer@furche.at | @olivertanzer

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