Wählen ist gefährlich

Werbung
Werbung
Werbung

Politische Revolutionen im Monatsabstand - bei Despoten und Diktatoren geht die Angst um, denn: Wer ist als Nächster dran? Wo fordert das Volk als Nächstes sein Recht?

Wahlbetrug kann Ihre Karriere zerstören!" Ohne diese Warnung wird in Zukunft wohl keine Wahl in den früheren Sowjetrepubliken mehr auskommen. Denn die kirgisische Lektion ist eindeutig: Wahlfälscher leben gefährlich. Nach seinen Kollegen in Tiflis und Kiew musste das nun auch der kirgisische Präsident Askar Akajew erleben. Doch im Unterschied zu Georgien und der Ukraine wurde Akajew nicht mit Rosen oder orangenen Schals aus dem Amt gejagt - in der zentralasiatischen Hauptstadt Bischkek marodierten Tausende aufgebrachte Kirgisen durch die Straßen, plünderten und zerstörten Regierungsgebäude und Geschäfte, Menschen wurden verletzt, Menschen wurden getötet. Und noch ist keineswegs ausgemacht, dass die kirgisische Revolte nicht ganz außer Ruder läuft, blutrot, nicht rosenrot, nicht orange, die Farbe dieser Revolution wird.

Mit den Verletzten und Toten hat die kirgisische Opposition nicht nur ihre Unschuld verloren, die Eskalation der Gewalt hat auch gezeigt, wie gefährlich so ein Despoten-Domino sein kann, wie nahe am Abgrund jede Demokratiebewegung in diesen Ländern agiert. Die (fast) gewaltlosen Umstürze in Georgien und der Ukraine haben vor allem bei den aus sicherer Entfernung applaudierenden Zuschauern das hohe Risiko jedes politischen Umbruchs vergessen lassen. Doch Revolutionen sind kein Spaziergang, Revolutionen sind nie lieb, nie samten - Revolutionen sind immer eine Gratwanderung, ein Vabanquespiel, Absturz, Blutbad, ja Bürgerkrieg nicht ausgeschlossen.

Aber trotz des hohen Risikos, das jene nur zu gut kennen, die Jahrzehnte unter der Knute ihrer nicht zimperlichen Machthaber zugebracht haben, treibt es derzeit die Menschen in immer mehr autoritär regierten Staaten auf die Straße. Sie fordern ihren Staat zurück - in Bischkek wie in Beirut. Sie wollen ihre Zukunft in freien Wahlen bestimmen - in Kiew wie in Bagdad. Die politische Landkarte wird zusehends von Demokratien bestimmt: Noch 1980 waren erst 37 der damals 121 Staaten (35 Prozent der Weltbevölkerung) demokratisch verfasst. Heute gelten in 89 von 192 Staaten demokratische Spielregeln, zählt die amerikanische Menschenrechtsorganisation "Freedom House"; und 54 Länder werden als demokratiepolitische Schwellenländer geführt. Doch 37 Prozent der Weltbevölkerung in 49 Staaten leben nach wie vor in Unfreiheit. Sollte aber im Irak und in Kirgistan das Pendel jetzt tatsächlich in die andere, die demokratische Richtung ausschlagen und dort bleiben - dann waren's nur mehr 47. Und auch in Libyen oder Afghanistan stehen die Zeichen auf Umbruch, so wie in Russland - nur weiß man dort nie in welche Richtung; ja selbst in Saudi Arabien wurden eben erst Wahlurnen aufgestellt.

Allein, Wahlen reichen bei weitem nicht aus - sie können ein Anfang sein. Hinzukommen muss all das, worum bereits gefestigte Demokratien ständig und immer wieder auf's Neue ringen: Rede-, Presse-, Gedankenfreiheit, Minderheitenrechte, eine unabhängige Justiz zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit... Mit einem Wort: Ein demokratischer Staat zu werden, ist sehr schwer, einer zu bleiben, nicht leicht.

Faschismus und Kommunismus haben die Demokratie als "unheilbar krank" bezeichnet, sich als die bessere Alternative empfohlen - mit bekanntem katastrophalen Ausgang. Und tatsächlich: Demokratien hangeln sich oft ein wenig mühsam durch die Zeiten, Mehrheitsentscheidungen brauchen Überzeugungsarbeit, Geduld. Doch die Demokratie hat sich durchgesetzt - weil nur sie den Ausgleich zwischen oben und unten schafft.

Aber auch innerhalb kurzer Zeit sind Erfolge möglich. Eineinhalb Jahre nach der Rosenrevolution wird aus Tiflis berichtet: Wo früher Halbstarke mit Schusswaffen herumlungerten, sind die Straßen jetzt beschaulich. Kein Kleinlaster mehr mit aufmontiertem Maschinengewehr, und die Stromversorgung klappt - nicht immer, aber fast immer. Und was in Tiflis gelingt, in Kiew fortgesetzt wird, sollte auch in Bischkek, Bagdad, Beirut usw. möglich sein. Außerdem kommt in funktionierenden Demokratien ein entscheidender Vorteil hinzu: Dort können schon Wahlen und nicht erst der Wahlbetrug missliebige politische Karrieren zerstören.

wolfgang.machreich@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung