Städtemaler unterwegs

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Als die Stadtbilder erfunden wurden:Canaletto im Kunsthistorischen Museum.

Manchmal würde man sich gerne in Zeiten versetzen, als die Fotografie noch nicht erfunden war. So etwa beim Besuch der Ausstellung Bernardo Bellottos im Kunsthistorischen Museum. Zwar kann man sich auch heute der Wirkung dieser präzise gemalten Stadtansichten (Veduten) nicht entziehen, die ungeheure Faszination, die sie auf Zeitgenossen ausgeübt haben müssen, lässt sich aber nur erahnen.

Als es noch keine Fotos gab

Bildungsreisende des 18. Jahrhunderts hatten keine andere Möglichkeit, Erinnerungsbilder ihres Italienaufenthalts mit nach Hause zu nehmen als in Form eines Gemäldes. Besonders begehrt waren Ansichten Venedigs, der wohl ungewöhnlichsten Stadt Europas. Durch die rege Nachfrage kam es gerade in der Lagunenstadt zu einer Blüte der Vedutenmalerei, die mit dem Maler Antonio Canal (1697-1768), Canaletto genannt, ihren Höhepunkt erreichte. Canalettos stimmungsvolle und zugleich topografisch genaue Ansichten mit dem charakteristisch diffusen Licht dieser Stadt gehören zu den am meisten reproduzierten Bildern Venedigs.

Canalettos Neffe Bernardo Bellotto kommt das Verdienst zu, die ursprünglich auf Venedig und Rom beschränkte Vedutenmalerei in Mitteleuropa verbreitet zu haben. Im Unterschied zu seinem Onkel, von dem er den Beinamen Canaletto übernahm, verließ der 1722 in Venedig geborene Bellotto bereits mit 25 Jahren Italien, um in Dresden, Wien, München und Warschau zu arbeiten. Aus dieser Zeit stammen seine legendären Städtebilder, etwa das großformatige Bild "Wien, vom Belvedere aus gesehen" (1759/60), das wie kaum ein anderes Werk unsere Vorstellungen vom spätbarocken Wien geprägt hat. Bellottos Sichtweise der Stadt spielt nach wie vor eine Rolle, wie der Kurator der Schau Karl Schütz erläutert: "Bis heute gilt in der öffentlichen Meinung Wiens der vielzitierte "Canalettoblick" als wichtigste historische Referenz, und damit als gültiger Maßstab für städtebauliche Entscheidungen."

"Canalettoblick" auf Wien

71 Bilder Bellottos, der stets im Schatten seines berühmten Onkels stand, sind derzeit im Kunsthistorischen Museum gemeinsam mit Zeichnungen und Skizzen des Künstlers zu sehen. 14 Bilder besitzt das Haus am Ring selbst, über 20 Veduten stellten das Warschauer Nationalmuseum und das Königsschloss in Warschau, das derzeit restauriert wird, zur Verfügung. Ergänzt wird die umfangreiche Präsentation durch Werke aus zahlreichen anderen europäischen Sammlungen.

Die Ausstellung versteht sich nicht nur als publikumswirksame Schau gefälliger Städtebilder. Vielmehr versucht man im begleitenden Katalog eine kunsthistorische Neubewertung Bellottos, dessen beste Werke unter anderem deswegen jahrzehntelang nicht erforscht werden konnten, weil sie sich hinter dem "Eisernen Vorhang" befanden.

Fotografische Nüchternheit

Beim Gang durch die Ausstellung lässt sich nachvollziehen, warum die besonders im letzten Jahrhundert oft als mathematisch genau und zuwenig subjektiv abgewerteten Stadtansichten jetzt wieder eine Renaissance erfahren. Es sind gerade die scheinbar fotografische Nüchternheit und das Interesse an der gebauten Umwelt, die die Werke Bellottos heute wieder so aktuell erscheinen lassen. In Zeiten, in denen bei Gegenwartskunst-Ausstellungen kühle, aufgeblasene Architekturfotografien das Publikum erfreuen, wirken die Ansichten von Plätzen, Kirchen und Brücken vertrauter als so manch impressionistisches Landschaftsbild.

Bewusste Abweichungen

Indirekt können die gemalten Stadtansichten auch tatsächlich als Vorläufer der Städtefotografie angesehen werden. Man nimmt an, dass Bellotto - wie sein Onkel und viele andere Vedutenmaler - eine Camera obscura als technisches Hilfsmittel benutzte, mittels der er Details einer Vedute festhielt. Bellotto fertigte zahlreiche Teilskizzen an, die er schließlich zu einer Gesamtkomposition zusammenfügte. Dass er dabei bewusst auch Veränderungen vornahm und sich nicht sklavisch an die gesehene Wirklichkeit hielt, zeigt ein Werk aus Bellottos Frühzeit, das lange seinem Onkel zugeschrieben wurde. Auf dem Venedig-Bild "Canale Grande mit Santa Croce und Corpus Domini" (1738/39) hat Bellotto Santa Croce offenbar bewusst ohne die Fenster über den Toren gemalt - ein abweichendes Detail, das bei seiner sonstigen Genauigkeit ins Auge sticht.

Zu den amüsantesten Exponaten der Schau gehört eine Architekturphantasie, auf der Bellotto sich selbst als venezianischen Edelmann darstellt. Er deutet stolz auf ein erfundenes Gebäude im Hintergrund, während auf einem gemalten Flugblatt im Vordergrund mittels eines Horaz-Zitates für die Subjektivität der Kunst plädiert wird: "Maler und Dichter hatten immer die ihnen zu Recht gewährte Freiheit, mutig zu schaffen, was ihnen gefiel."

Bernardo Bellotto,

genannt Canaletto

Europäische Veduten

Kunsthistorisches Museum

Maria Theresien-Platz, 1010 Wien

www.khm.at

bis 19. Juni, Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog hg. von Wilfried Seipel, Skira-Verlag, Mailand 2005, 246 S., e 35,-

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