Unterwasser - © Illustrationen: iStock/Grafissimo

"pfeilschnell wie kolibris" von Waltraud Haas: Blitzlichter, Momentaufnahmen

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Der neue Gedichtband von Waltraud Haas bietet Abbreviaturen der Wirklichkeit.

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Der neue Gedichtband von Waltraud Haas bietet Abbreviaturen der Wirklichkeit.

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Alles dreht sich um das Ich. Doch es ist ein wankelmütiges Wesen, dem nicht über den Weg zu trauen ist. Es setzt sich aus mehreren Identitäten zusammen, einem Fantasie-Ich, einem Beobachtungs-Ich, einem Erinnerungs-Ich, einem Grübel-Ich. Je nachdem wechselt ein Gedicht seinen Charakter, gibt sich einmal verspielt, dann ironisch oder nüchtern. Wenn sich das Ich selbst als Apfel definiert, „der weit / vom stamm fällt“, muss man sowieso darauf gefasst sein, dass die Normalwelt außer Kraft gesetzt ist. Denn vor allem besteht dieses Ich aus Sprache, weit entfernt davon, aus Fleisch und Blut zu sein.

Die neuen Gedichte sind Abbreviaturen der Wirklichkeit. Momentaufnahmen, Blitzlichter der Erkenntnis, Sekundendramen laufen ab, Ironie kommt dazu, Selbstironie sowieso. Das ist gut so, denn sonst müssten wir ein Gedicht, das überschwänglich die Vorzüge eines Geliebten preist, als reinen Kitsch nehmen: „dein haar sonnengeflecht / deine gestalt fließender honig / dein lächeln mainachtluftmild / und lärchengrünzart“. Es endet in einer Pointe: „du ausgeburt / meiner phantasie“. Das Gegenüber, ein Phantom.

Das leuchtet ein. Überhaupt arbeitet Waltraud Haas gerne mit Überraschungseffekten. Sie liebt das Hakenschlagen, um sich dem Erwartbaren zu widersetzen.

Nicht, dass dabei große Literatur herauskommt, etwas Beiläufiges haftet dieser Lyrik an. Haas setzt kleine Nadelstiche ins Fleisch der Banalität, der Tristesse, der Gewöhnlichkeit, kurz zischt es einmal, dass einem diese Gedichte länger nachgehen, wie es im Fall von wichtiger Literatur der Fall ist, lässt sich schwer behaupten. Sie weisen Esprit auf, wirken anregend in ihrer Unangestrengtheit, entladen sich als Spontanereignisse über der Leserschaft. Und weil stets mit Überraschungen zu rechnen ist, lässt man so etwas gerne über sich ergehen.

Als eigenwillige Schriftstellerin mit persönlicher Handschrift, jeglicher Form von Massenware abhold, ist Waltraud Haas auch in ihrem jüngsten Band leicht identifizierbar. Das muss jemandem erst einmal gelingen, ein derart starkes Ich literarisch auszubilden. Wenn das kein Vorteil ist.

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