stoppstanzstill - © Foto: Stephan Doleschal

Es fliegt als Knochen! Michael Hammerschmids „stopptanzstill!“

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Der Lyriker Michael Hammerschmid formt in „stopptanzstill!“ Tier- und Textkörper-Symbiosen. Ein Buch zur Wiedereröffnung des Wien Museums.

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Der Lyriker Michael Hammerschmid formt in „stopptanzstill!“ Tier- und Textkörper-Symbiosen. Ein Buch zur Wiedereröffnung des Wien Museums.

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Die Wiedereröffnung des Wien Museums am Karlsplatz lenkt den Blick zuallererst auf die architektonisch faszinierende Verbindung von Alt und Neu: Der neue Betonblock scheint aus der Mitte des historischen Gebäudes herauszuwachsen und legt sich als schwebende Konstruktion über den Bau von Oswald Haerdtl. Die Symbiose stellt eine transparente Fuge her, sodass die beiden Teile einander nicht zu berühren scheinen und dennoch miteinander verbunden sind. Dieses Konzept des Architektenteams Čertov und Winkler + Ruck spiegelt sich leitmotivisch in einem Gedichtband wider, der – an Kinder adressiert und damit natürlich ein All Ager – zur Wiedereröffnung des Wien Museums erschienen ist: Der Lyriker Michael Hammerschmid geht von Ausstellungsobjekten des Museums gleichermaßen wie Figuren und Skulpturen des Wiener Stadtbilds aus und stellt in Gedichtform eine Symbiose zwischen kunstgeschichtlichem Körper und Textkörper her. Mittig gesetzt, mutet den Gedichten ein schwebender Charakter an, wenn sie bildlich je Doppelseite gemeinsam mit jenem bild- oder skulpturhaften Wesen präsentiert werden, auf die der Text reagiert. Und damit eine spezifische Variante der Ekphrasis inszeniert.

und meine lamellenborten horten die zeit / die in mir klingt wenn das kind in mir singt

Es ist der in seiner Körperlichkeit üppige Wal aus Kupferblech vom Gasthaus „Zum Walfisch“ im Prater, der seinen Weg als Blickfang in die Eröffnungsausstellung gefunden hat, aus dessen Perspektive das lyrische Ich hier die Brücke über Seiten und Zeiten schlägt: Aus dem Jahr 1951 stammend, ist der Wal das einzige der Tiere, das mehr Platz für sich beansprucht als nur eine Doppelseite. Denn ja, es sind allesamt Tierfiguren, von denen Michael Hammerschmid
ausgeht, der damit einen Kontrapunkt zu seinem mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Gedichtband „wer als erster“ setzt. Dort war es der Versuch, Kinderlyrik (auch) jenseits des beliebten Tiergedichts zu erproben; und nicht zuletzt Illustratorin María José de Telleria, die in ihren Illustrationen Michael Hammerschmids Sprach- in Tierbilder transformiert hat. Nun sind es Tierfiguren unterschiedlichster Machart, die im Fokus der Text-Assoziationen stehen: Bronze-Figürchen, Mosaike, Wasserspeier, Brunnentiere, Graffiti – sie alle werden in ihrer Materialität mit sprachlichen Mitteln durchdrungen:

wirf ihnen etwas zu / ein stöckchen aus buchstaben / ein hölzchen aus lauten / einen knochen aus sonnen- / gewärmten heruntergefallenen / sternsilben, wenn du mal welche / findest. dann lachen sie nämlich

Ein chinesisches Monster aus Stein von der Westfassade des Stephansdoms ist es, das hier unter dem lyrischen Motto „es wird schon gelingen“ aus der Monstrosität befreit werden soll und damit auch den Charakter der Gedichte spiegelt. Sie allesamt verweigern das Liebliche, brechen Sprachrhythmen, irritieren in ihren Zeilenumbrüchen und offenbaren gleichzeitig in ihrer zauberhaften Begrifflichkeit die verborgenen Geheimnisse der Tierfiguren in all ihrer variantenreichen Beschaffenheit. Der Reim wird dabei zurückhaltend und dennoch effektvoll eingesetzt:

doch jetzt! / ruhe bitte / um was geht / es da? die sieben / zerstieben nicht / fürs foto halten / sie: stopptanz- / still und das ist / für so quasselraben / zeitlich schon viel

Das Keramikrelief aus der Amortgasse birgt Märchenanleihen, die wie an zahlreichen anderen Stellen des Bandes gleichermaßen wie andere kulturgeschichtliche Aspekte aufgegriffen werden. Und dennoch verweigern sich die Gedichte dem Sagenhaften; vielmehr referieren sie auf die Dynamik der Tierkörper, auf deren Oberflächen gleichermaßen wie auf die dahinter verborgenen Geheimnisse und Geschichten. Während im Anhang die Kunstgegenstände des Stadtalltags auch in ihrer tier-mythischen Bedeutung verortet werden, erforschen die Gedichte das Unerforschte:

wohnst du hier? / die den anderen wesen / bist du schon mal / lustig gewesen?

Es sind eingefangene Momente, in denen die Fantasie zur Fuge zwischen Kunstgegenstand und Sprachkunst wird – ganz so wie jenes Geschoß im neuen Museumsgebäude, das als Glasbau den Blick auf die Stadt freigibt. Und damit das Innen und das Außen verbindet – die Ausstellungsgegenstände und die Tier-Figurationen im öffentlichen Raum. Beide können erkundet werden. Beide sind in diesem Band mit viel Humor erkundet worden:

es fliegt und fliegt / und fliegt schau hin / als knochen! / und hält / die fledermäuseohren / offen / ich find das so was von / besoffen

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