"die gefaltete uhr" von Gerhard Rühm: Wörter, Ziffern und Musik
Auf den Nenner zu bringen ist Rühms Werk nicht, zu disparat sind die Unternehmungen, der Sprache ihre Grenzen aufzuzeigen, um sie im nächsten Augenblick zu überwinden.
Auf den Nenner zu bringen ist Rühms Werk nicht, zu disparat sind die Unternehmungen, der Sprache ihre Grenzen aufzuzeigen, um sie im nächsten Augenblick zu überwinden.
Gerhard Rühm ist der strenge Systematiker der österreichischen Literatur. Er legt sich jeweils einen Plan zurecht, bevor er zu schreiben beginnt. Seine Literatur ist regelkonform, funktioniert perfekt innerhalb des Systems, das er jeweils erfi ndet. Wie jedes andere Spiel braucht auch das Sprachspiel Rühmscher Art defi nierte Regeln. Was dann geschieht, liegt außerhalb des Einfl ussbereichs des Erfi nders. Es ist leicht einzusehen, dass Literatur, die so strengen Prinzipien unterworfen ist, nicht weit von der Mathematik entfernt ist. Ein Text als Rechenaufgabe. Im konkreten Fall sieht das so aus, wie, ja, was nun, wie im Gedicht, im Text oder doch in der Gleichung „gerechte rechnung“:
„4 + 4 = 8
8 + 8 = 4“
In Rechnung steckt das Wort gerecht gleichsam geborgen, und so darf der Dichter schon einmal gegen die Logik der Vernunft die Logik der Poesie zur Anwendung bringen: mathematisch falsch, aber der poetischen Form nach richtig. Immerhin schlägt Rühm einen Funken des Witzes raus. Subversiv wirkt das schon deshalb, weil so der Dominanz einer zahlenbasierten Welt nicht das letzte Wort überlassen wird.
Auf den Nenner zu bringen ist Rühms Werk nicht, zu disparat sind die Unternehmungen, der Sprache ihre Grenzen aufzuzeigen, um sie im nächsten Augenblick zu überwinden. Es kommt zu Sprachexerzitien, dem Laut, dem Rhythmus, der Musik verpfl ichtet – ebenso wie zu Kosmogonien als Welterklärungsunterfangen. Allen gemein ist die Unterordnung unter die formale Strenge. Als Sprachkompositionen gehen die meisten von Rühms Arbeiten durch, auch sieht man ihnen an, dass es sie vom Buch auf die Bühne drängt, sie wollen nicht gelesen, vielmehr gehört werden.
Andere Arbeiten wieder stellen sich ins Rampenlicht, um als visuelle Ereignisse wahrgenommen zu werden, Bilder aus Sprache, optisch aufgemöbelte Sprach-Bilder. Rühm spielt alle Stückln konkreter Poesie, ein Singulär in der österreichischen Literatur. Alte und jüngere Arbeiten mathematischer Prägung sind in Rühms jüngster Veröff entlichung versammelt, sie ergeben einen guten Überblick über einen Unfassbaren.