Unterwasser - © iStock/Grafissimo

"Zeilenweise Frauenfeld" von Zsuzsanna Gahse: Die Sprache sagt, wo’s langgeht

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Zsuzsanna Gahse nimmt die Wörter beim Wort – auch in ihrer jüngsten Veröffentlichung „Zeilenweise Frauenfeld“.

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Zsuzsanna Gahse nimmt die Wörter beim Wort – auch in ihrer jüngsten Veröffentlichung „Zeilenweise Frauenfeld“.

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Es soll vorkommen, dass es Menschen gibt, die keine Zsuzsanna Gahse-Leser sind. Man erkennt sie an ihrem trübsinnigen Blick in der Ahnung, dass ihnen etwas fehlt, ohne definieren zu können, was. Etwas ratlos wirken sie, mitunter grantig, und im Sprachgebrauch hinken sie etwas nach. Sie glauben nämlich alles, was ihnen die Sprache vormacht, und kennen Schattierungen und Abstufungen nicht, die das Sprechen zu einem immer neuen riskanten Unterfangen mit Missverständnissen macht.

Und das Schreiben erst! Hier geht es ja noch vertrackter zu, weil es komplexer angelegt sein darf als die Mündlichkeit. Es ist schon gut, wenn man sich an eine Zeremonienmeisterin der Sprache vom Schlage der Zsuzsanna Gahse hält. Sie ist eine vorsätzlich unzuverlässige Erzählerin, der nie daran gelegen ist, mit einer nacherzählbaren Geschichte aufzuwarten. Dabei liegt ihr das Erzählen, nur eben nicht eines, das Episoden eine Perlenschnur entlang auffädelt, sodass sich Linearität einstellt, die für eine Entwicklung einsteht. Gahses Literatur ist nicht auf Linie zu bringen, sie wuchert aus in die Fläche. Zu viele Gedanken stellen sich ein, sobald die Erzählerin einmal etwas ins Auge gefasst hat, zu viele Ablenkungen lauern darauf, auch berücksichtigt zu werden, um ins Buch einzugehen. Also wird gepflückt, was sich dem Auge, dem Ohr bietet, Assoziationen stellen sich ein, Erinnerungen, Leseerlebnisse. Mit handelsüblichem Realismus kann man Zsuzsanna Gahse jagen, ihre Literatur kommt nicht aus dem Bedürfnis, Vorgefundenes abzubilden, sie gestaltet es um. Sie geht als hellhörige Autorin vor, achtsam den Worten lauschend, aufmerksam schaut sie, wo die Sprache sie hinträgt. Dann kann es passieren, dass sie ganz woanders ankommt, als eigentlich gedacht.

„Instabile Texte“ lautet der Titel eines Bandes aus dem Jahr 2005, der knapp auf den Begriff bringt, was es mit Gahses Schreiben auf sich hat. Gegen eine Welt der Selbstsicherheiten setzt sie eine Literatur des Vagen, Schemenhaften, Wandelbaren. Mit Gahse lernt man nicht, wie unsere Welt funktioniert und was sie am Laufen hält, sie spezialisiert sich auf die Nebenräume des Weltgebäudes – abseits der großen Dramen. So unpolitisch diese Literatur auch aussehen mag, so harsch verfährt sie mit Politik auf eine vertrackte Weise. Texte, die aus der Sprache kommen, sind ja ein direkter Angriff auf die Normsprache, die Vertrautes auf vertraute Weise wiedergibt. Mit Floskeln und Sprachhülsen wird aufgeräumt, sie taugen nichts, wenn einem an Ernsthaftem gelegen ist.

Wie soll etwas weitergehen, wenn man nicht die Tiefen der Sprache auslotet, sie abklopft auf einen Gegensinn hinter dem Sinn, die Wörter beim Wort nimmt, um ihnen im nächsten Augenblick kein Wort zu glauben. Ohne sprachkritisches Bewusstsein bewegt sich im Werk Zsuzsanna Gahses gar nichts. Wer sich darauf nicht einlässt, fliegt raus.

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