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„ Wien, Wien, nur du allein..."

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„Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde, vielleicht auch zwei“ (Ernst Hinterberger) - Das Wiener Lied und seine Stars.

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„Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde, vielleicht auch zwei“ (Ernst Hinterberger) - Das Wiener Lied und seine Stars.

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Eine Welt für sich: fanatische Hörer, die den Verantwortlichen von Radio Wien mutig erklären, warum sie zu kurz kommen; eigensinnige Stars unter den Komponisten, die jeder für sich Besitzansprüche auf die Welt des Wiener Liedes anmelden; junge Kämpfer wie die Wiener Concert Schrammeln, Sängerstars, die würdig wie Zarah Leander ihre Auftritte begehn; Liebhaber, denen alles wienerisch klingt und Ausgrenzer per defi- nitionem.

Was ist ein Wiener Lied? Die Wissenschaft blieb bislang Antworten schuldig, das Wiener Volksliedwerk suchte sie (in einem Symposium diesen Herbst): Ob mit den Brüdern Schrammel schon der Höhepunkt vorbei war, ob die Walzer von Lanner und Strauß dazugehörten, die Operettenmelodien, ob es alles ist, was dem Volk gefällt (Leiermann Ernesto) oder ob der Blues ein Wiener sein muß (Albert Malli) und ob die „Dead . Nittels“, Rockgruppe aus Wien, dazugehörten (Doris Knecht).

„A echter Wiener geht net unter“, aber was ein echtes Wienerlied ist, wußte auch Drehbuchautor Ernst Hinterberger nicht. Er verglich den Antwort Suchenden mit der Ehefrau beim Fußballmatch: „Sie geht mit, aber weiß nicht, was ein Freistoß ist.“ Macht es die meditative Stimmung aus, daß das Wiener Lied immer viele ansingt, auf keinen Fall z’haus und für Leut aus der untersten Lad’?

„Jeder Ratz sucht sein Kanal“ (Roland Neuwirth) - das Wiener Lied singt von der Heimat, vom Grätzl und von der Suche nach einem zweiten, nach der „Kittelfalten“. Es braucht das typische, tschechische „L“, den b’sondem Kehlkopf, die Vibration, das Schluchzen in der Stimme, aber keine Tränen - weil man mit denen ' net singen kann, das Selbstmitleid, die Gläubigkeit des „Herrgotts aus Stoan“ (Karl Hodina) und den Tod: „Grabts mi in Keller ein unter an Eimer Wein“. Ein Opernsänger soll’s nichts singen, aber professionelle Darsteller haben das Wiener Lied auf die Bühne der Popularität gehoben - Alexander Girardi etwa. Die Liebe zur Natur hat das Wiener Lied zu den Heurigen getragen.

So wenig analysierbar, so widerspenstig lehrbar ist das Genre: ein Lehrgang für Wiener Musik am Konservatorium der Stadt Wien scheiterte an mangelndem Interesse. „Du muaßt di a’spieln“, sagt Karl Hodina, der seine Noten in der Familie ererbt hat.

Die Geschichte des Wiener Liedes beginnt bei den Linzer Tanzgeigern, die Dudelsack und Drehleier ablösten, beim Urvater, dem „lieben“ Augustin, bei den Bratlgeigern, die für ein Essen spielten. Wiener Lied-Liebhaber Ernst Weber hat auf „Basilisk- Records“ alte Aufnahmen herausgebracht.

Es gab auch eine Zeit, wo das Wiener Lied seine Kraft zum Widerstand unter Beweis stellen konnte. Der Grazer Karl Mellacher hat diese Musik geschichte Österreichs, als es nicht so hieß, aufgearbeitet. Während die Nazis ein kitschiges Zerrbild besingen ließen, leistete das Wiener Lied den kleinen Widerstand: Obrigkeitsschimpf, natürliche Sprechweise, Raunzen wurde mit bis zu acht Monaten Haft bestraft. Lieder auf Flugblättern in einer Wiener Lokomoti- vfabrik, die die Realität beschrieben, waren ein Verbrechen: „Wien, Wien, nur du allein, sollst bald die Stadt ohne Nazis sein.“

Uneins sind sich Gast- und Heurigenwirte, ob das Wiener Lied den Absatz hebe. Zum „Dudeln“, dem wienerischen Jodln brauchts keinen Wein, und der Mayer vom Pfarrplatz beklagte den Alkohol-Rückgang. Wien ist die einzige Großstadt, die eine eigene Musik hat. Ihre Pflege ist existenziell notwendig: Wann’s des Wiener Lied dimmer gibt, gibt’s auch keinen Wiener mehr.

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