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Alilasten für die Nachkommen

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Nach Dämmstoffen, Brems- belägen und anderen As- bestprodukten geraten nun auch Wasserrohre aus As- bestzement ins Visier der Umweltschützer. Aber noch werden sie verlegt.

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Nach Dämmstoffen, Brems- belägen und anderen As- bestprodukten geraten nun auch Wasserrohre aus As- bestzement ins Visier der Umweltschützer. Aber noch werden sie verlegt.

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Öffentliche Gebäude wie die Rund-Turnhalle in der Per-Albin- Hansson-Siedlung oder die Z-Zen- trale in der Wiener Innenstadt werden um Millionenbeträge vom Spritzasbest befreit, da „eine Ge- sundheitsgefährdung nicht auszu- schließen ist". Gleichzeitig verlegt man in ganz Österreich Hunderte Kilometer Trinkwasserrohre aus Asbestzement, die vom Obersten Sanitätsrat als „völlig ungefähr- lieh" begutachtet wurden.

Ist Asbest also nun jener „größte Haftpflichtunfall", von dem ame- rikanische Wissenschaftler spre- chen, oder handelt es sich um die „Überreaktion von Bürgerinitiati- ven und Grünen", wie Asbestze^ ment- und Wasserwerke hierzulan- de beteuern?

Fest steht: eingeatmet ist die Gruppe der faserförmigen Alumi- nium-Magnesium-Silikate ver- schiedener Größe und chemischer Zusammensetzung, die als Asbest weltweit abgebaut und wegen ihrer besonderen Hitze- und Säurebe- ständigkeit, geringen Leitfähigkeit und guten Verspinnbarkeit vielfäl- tig verwendet werden, als höchst gesundheitsgefährdend zu beurtei- len. Dabei spielt jedoch die Länge der Asbestfasern und ihre chemi- sche Zusammensetzung eine ent- scheidende Rolle.

Die langen, dünnen Amphibolfa- sern sind die gefährlichsten. Sie dringen leichter in die Lunge ein und können nicht abgebaut oder ausgeschieden werden. Als Auslö- ser der Asbestose (Lungenfibrose), von Lungenkrebs und Brustfelltu- moren werden sie schon in ganz ge- ringer Menge von der Weltgesund- heitsorganisation WHO als „höchst gesundheitsgefährdend" eingestuft. In Österreich ist ihre Verwendung ausnahmslos verboten.

Weniger gefährlich scheinen nach Expertenmeinung die viel kürze- ren, gebündelten Chrysotile, die über 90 Prozent der Asbestverar- beitung ausmachen. Das betrifft den Abbau in Bergwerken genauso wie die Verarbeitung zu Asbestzement- produkten. In hohen Dosen sind auch Chrysotile in der Lunge und im Magen-Darm-Trakt gefährliche Krebs- und Tumorverursacher. Und - Chrysotile sind oft mit Amphibo- len verunreinigt, was wiederum zu einem erhöhten Risiko für die Ver- arbeiter führt.

Asbest stellt demnach in jedem Falle für die damit arbeitenden Menschen ein Gesundheitsrisiko dar, wobei seine Wirkung auf menschliches Erbgut noch nicht genau erforscht ist. Deshalb gibt es heute weltweit genaue Sicherheits- vorschriften über die Höhe der Asbestkonzentration am Arbeits- platz, die sich an „Erfahrungswer- ten und dem Stand der Technik" orientieren.

Eine EG-Richtlinie aus dem Jahr 1983 besagt, daß „beim gegenwär- tigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse ein Niveau, unter dem eine Gefährdung der Gesundheit nicht mehr gegeben ist, nicht fest- gelegt werden kann." Ein weltwei- tes Asbestverbot wurde bereits 1985 zum ersten Mal von der „Interna- tionalen Arbeitskonferenz" disku- tiert, wurde aber seither immer wieder als „technologisch noch nicht möglich" hinausgeschoben.

Wie schaut es nun mit der As- bestbelastung für den „Normalver- braucher" aus? Langzeitstudien haben sich auch mit der Wirkung von Asbestzement in öffentlichen Gebäuden auf die Benutzer und Bewohner beschäftigt. Die Asbest- faser-Konzentrationen der Luft wurden gemessen und mit den Erkrankungs-Statistiken vergli- chen. Verbindliche Ergebnisse las- sen sich daraus (noch) nicht able- sen, denn die lange Latenzzeit von über 30 Jahren für Asbest-Folgeer- krankungen erschwert die Beurtei- lung genauso wie die äußerst kom- plizierten Meßvorgänge.

Ein fünfköpfiges Expertenteam aus amerikanischen Internisten und Arbeitsmedizinern kam jedenfalls Anfang 1990 zu dem Schluß, daß die Asbestbelastung an Schulen und öffentlichen Gebäuden in einer „As- besthysterie" überschätzt wird, die genauen Richtlinien und deren Kontrolle für Asbestverarbeiter jedoch unbedingt eingehalten wer- den müssen, um die Gesundheits- risken zu minimieren. Sie meinen, daß „die Asbestsanierung ein un- gleich höheres ^^^^^^^^^^^ Risiko darstellt, da sie oft un- sachgemäß aus- geführt wird, und somit die Arbeitnehmer, aber auch die Gesamtbevöl- kerung durch Asbeststäube erheblich höher belastet wird, als dies durch Verwitterung oder Brüche des Asbestmaterials zu befürchten wäre."

Ganz anders der Befund einer Bonner For- schungsgruppe zum Thema „Asbest in Trinkwasserlei- tungsrohren". Sie fordert ein sofortiges Ver- bot der Verle- gung derartiger zukünftiger „Altlasten" in den Boden, wie es auch in Öster- reich täglich passiert. Die vom „Bundes- verband Bür- gerinitiativen Umweltschutz" in Auftrag gege- bene Studie spricht von ei- nem erhöhten Tumor-Risiko für die Gesamt- bevölkerung durch die As- bestbelastung des Trinkwas- sers. Geradezu ein Verbrechen sei die weitere Verlegung von Asbest-Zemerit- Trinkwasserrohren nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern auch für die Verbraucher.

Vor allem kalkungesättigtes Wasser löse die Asbestfasern aus der festen Zementverbindung, auch Brüche oder unsachgemäße Verle- gung der Rohre würden die Asbest- belastung erhöhen. Die Versiche- rung von Herstellern und Wasser- werken, die Kalksättigung werde regelmäßig und gewissenhaft über- prüft, überzeugt die Bonner Exper- ten nicht: „Saurer Regen macht das Trinkwasser kalkaggressiver, au- ßerdem wird in vielen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland der verordnete Ph-Wert nicht eingehal- ten."

Die gleiche Sorge äußern auch österreichische Bürgerinitiativen, wie jene in Ebreichsdorf, die seit vielen Jahren um eine Wasserlei- tung kämpfen. Sie sehen nun die zügige Verlegung der Asbestze- mentrohre mit Skepsis. „Einerseits muß man froh sein, daß jene Ort- steile, die seit der CKW-Verseu- chung der Brunnen ihr Wasser aus Containern beziehen, endlich mit einer Wasserleitung verbunden werden", meint Elfi Westhoff, Ge- meinderätin der Bürgerliste Ebreichsdorf, „andererseits bleibt die Angst vor dem möglichen er- höhten Gesundheitsrisiko, auch wenn die Asbestschäden durch orale Aufnahme gering bewertet wer- den." Beim Inhalieren, Saunieren oder in Klimaanlagen verdunstet asbestbelastetes Trinkwasser, die Fasern bleiben in der Luft und können so zur Bedrohung werden.

Einer Bedrohung, der man im Umweltministerium mit einer neu- en Asbestverordnung begegnet, die jedoch nach wie vor die Verwen- dung von Trinkwasserrohren aus Asbestzement ermöglicht.

Mit der Forderung nach einem generellen Asbest-Verbot in Öster- reich und dem sofortigen Stop je- der weiteren Verlegung von Asbest- zementrohrleitungen für Trinkwas- ser hatte die Grüne Alternative im Parlament ebensowenig Erfolg wie eine zweite Bürgerinitiative in Asperhof en, die die Verlegung der- artiger Rohre in ihrem Ortsgebiet verhindern wollte. Der Oberste Sa- nitätsrat stellte 1989 erneut fest, daß „ein erhöhtes Krebsrisiko duren orale Aufnahme von Asbest im Trinkwasser nicht nachweisbar ist".

Die Skepsis gegenüber den Un- bedenklichkeitserklärungen bleibt. Immerhin besteht in Schweden seit 1976 und in der Schweiz seit 1989 ein Verbot von Herstellung, Ein- fuhr und Verarbeitung asbesthalti- ger Materialien. In der Bundesre- publik Deutschland will man ab 1991 auf Asbest im Hochbau ver- zichten.

Auch die fieberhafte weltweite Suche nach Ersatzstoffen zeigt, daß die einstige „Wunderwaffe Asbest" heute vom Club of Rome mit Recht als „Umweltgift Nr. 3" (nach Blei und Quecksilber) bezeichnet wird, auch wenn die „statistisch nötigen Hunderten Asbesttoten zur eindeu- tigen Beweisführung der Asbestge- fahr erst nach der Jahrtausendwen- de zu befürchten sind", wie es der Hamburger Arbeitsmediziner Prof. Dr. Beckenkampf formuliert hat.

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