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Authentische Düsternis

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Samuel Beckett, menschenscheuer irischer Nobelpreisträger und einer der Begründer des absurden Theaters, scheint eine Schwäche für Berlin zu hegen. Heuer ist er zum sechsten Mal bei den Festwochen am Gestade der Spree aufgekreuzt, um wieder eines seiner Stücke persönlich in Szene zu setzen. Keine Novität wie im vorigen Jahr. Diesmal wartete er mit einer neuen Nuance seines Hits „Krapp’s Last Tape“ auf, in dessen deutscher Version („Das letzte Band“) wir vor knapp zwei Dezennien, ebenfalls in Berlin und unter des Dichters Regie, den unvergessenen Walter Frank als dieses ausgehöhlte, sich auflösende Menschenwrack am Rande des Nichts erlebten. Später stattete Martin Held Krapp, der mit resignierendem Achselzucken und müden Gesten an Hand von Tonbandaufzeichnungen sein Leben Revue passieren läßt, mit komödiantischeren, vitaleren Zügen aus. Eine Auffassung, die auch bei dem jetzigen Interpreten, dem Amerikaner Rick Cluchey, bei der Aufführung in der Berliner Akademie der Künste, spürbar wird.

Wenn er am Beginn Bananen schält oder mit Papierkugeln in die Gegend schießt, weht fast ein Hauch von Komik von der im Dunklen gehaltenen Bühne herunter. Nur mit dem Unterschied, daß Clucheys darstellerische Mittel wesentlich schlichter und naiver sind als die große schauspielerische Palette des Professionisten Held.

Denn Cluchey, in der autorisierten Originalfassung des Monodramas in englischer Sprache, ist eigentlich ein Amateur mit düsterem, persönlichem Hintergrund. Wegen Raub und Überfall mit Waffengewalt saß er zehn Jahre im Zuchthaus und lernte die Atmosphäre des Eingekerkertseins und der menschlichen Vereinsamung, um die ja die Werke Becketts stets kreisen, kennen. Aus dieser Situation heraus spannten sich auch die ersten inneren Fäden zwischen dem Gefangenen und dem Dichter, in dessen düsteren „Endspiel“-Variationen Cluchey einen Teil seines eigenen Schicksals widergespiegelt fand.

Kontakte, die nach Clucheys Begnadigung in dem von ihm geschriebenen Zuchthausdrama „The Cage“ (Der Käfig), das in den USA, aber auch in Europa Aufsehen erregte, ihren Niederschlag fanden. Der schauspielerische Autodidakt Cluchey aber, der hinter Gittern Theaterspielen lernte und uns nun mit seinem grauen Wuschelkopf gegenübersitzt, überzeugt durch die Modulationsfähigkeit seiner Stimme. Angepaßt dem Rhythmus der Lebensalter und Stimmungen, die sie, konzentriert auf die von Beckett modellierten Texte, wiederzugeben hat, reicht ihr Bogen von volltönender jugendlicher Vitalität bis zum mürrischen Altersknurren und den Fisteltönen des dahinsiechenden Greises.

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