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Büßen in der Sahara

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Hätten nicht an die 300 junge Pazifisten — Spanier, Schweizer, Franzosen, Engländer und Deutsche — den in Genf gestarteten und auf der internationalen Brücke zwischen Bourg-Madame und Puigcer-dä blutig beendeten Solidaritätsmarsch für ihre spanischen Kollegen unternommen, wäre die ausländische Öffentlichkeit vermutlich weiterhin über ein Problem hinweggegangen, das viele Spanier und seit einigen Jahren auch hier die Regierung beschäftigt. Das der Wehrdienstverweigerer.

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Hätten nicht an die 300 junge Pazifisten — Spanier, Schweizer, Franzosen, Engländer und Deutsche — den in Genf gestarteten und auf der internationalen Brücke zwischen Bourg-Madame und Puigcer-dä blutig beendeten Solidaritätsmarsch für ihre spanischen Kollegen unternommen, wäre die ausländische Öffentlichkeit vermutlich weiterhin über ein Problem hinweggegangen, das viele Spanier und seit einigen Jahren auch hier die Regierung beschäftigt. Das der Wehrdienstverweigerer.

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Wer in Spanien den Wehrdienst verweigert, muß sich auf eine Kette von Gefängnisstrafen vorbereiten, die erst mit dem Erreichen des 30. Lebensjahres, das als Altersgrenze für die Wehrpflicht festgesetzt ist, beendet werden. Die Strafen reichen von sechs Monaten bis zu sechs Jahren. Bei der ersten Weigerung, der militärischen Staatsbürgerpflicht nachzukommen, wird meist zu einer geringen Strafe verurteilt, die sich bei Wiederholung steigert.

Elf Jahre im Gefängnis

In Spaniens Militärgefängnissen befinden sich derezit 160 bis 200 Wehrdienstverweigerer, mehrere ohne Unterbrechung seit zehn und elf Jahren. Einige wurden bisher insgesamt zu 15, 17 und sogar 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Viele verbringen ihre Haftstrafen in der heißen spanischen Sahara. Fast alle sind Zeugen Jehovas oder Adventisten, deren Glaube staatlich anerkannt ‘ist.

Eine Ausnahme bildet der 23jährige Diplomlandwirt Josė Luis Beunza Väzquez, der als erster katholischer Wehrdienstverweigerer Anfang dieses Jahres zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist und sich derzeit in Valencia in Haft befindet. Seine Verurteilung gab den Anstoß zu dem Paziflstenmarsch, da Väzquez Mitglied einer spanischen Bewegung der aktiven Gewaltlosigkeit ist, die von dem spanischen Schriftsteller und internationalen Funktionär Gon- zälo Arias angeführt wird. Arias er-

Alleingänge als Sandwichmann internationale Beachtung und bisher zwei Gefängnisstrafen in Spanien. Mit sechs anderen jungen Spaniern, darunter zwei Mädchen, wurde er als Solidaritätsmarschteilnehmer am Ostersonntag an der spanisch-französischen Grenze verhaftet. Derzeit befindet sich die Gruppe in der Madrider Generaldirektion für Sicherheitswesen und dürfte einer Anklage des Gerichtes für öffent-

liche Ordnung wegen illegaler Manifestation entgegensehen.

Seit Jahren befaßt sich die spanische Regierung mit einer adäquaten Lösung des Wehrdienstverweigererproblems. Im März 1970 brachte sie einen Gesetzentwurf ein, der vom Verteidigungsausschuß des spanischen Ständeparlaments als „zu mild” abgelehnt worden ist. Darin war ein dreijähriger Ersatzwehrdienst — das Doppelte der normalen Wehrddenstzeit — und die Begnadigung der verurteilten Kriegsdienstverweigerer vorgesehen.

Einige Mitglieder des Verteidigungsausschusses, der fast durchwegs aus hohen Offizieren bestand, äußerten recht eigenartige Ansichten über die Kriegsdienstverweigerer. So erklärte der als Militärarzt und von den Familienoberhäuptern Sevillas als ihr Repräsentant ins Parlament gewählte Garcia Bravo, sie seien „Neurotiker oder Psychopathen”, die er „einer psychiatrischen Behandlung für wert” befindet.

Die Einstellung gegenüber einem Gesetz über die Kriegsdienstverweigerung dürfte sich inzwischen etwas geändert haben, denn die Regierung wünscht, dieses Problem so bald wie möglich zu lösen. Denn obzwar es in Spanien nur etwa 3000 Zeugen Jehovas geben soll, stellen sich unter den jährlich 200.000 Rekruten doch jeweils 50 oder 60 Wehrdienstverweigerer ein, die, wie der Fall Beunza zeigt, demnächst durch Katholiken einen gewissen Zuwachs erfahren könnten.

Anfang März erklärte daher der spanische Heeresminister, Generalleutnant Castanon de Mena, daß ein Gesetzentwurf über die Wehrdienstverweigerer von der Regierung praktisch fertiggestellt sei und dem spanischen Parlament vorgelegt wird. Der Text, der sich bereits im Parlament befindet, ist jedoch noch unbekannt. Nach der vorjährigen Erfahrung zu schließen, dürfte er kaum so „mild” ausfallen wie der frühere Entwurf.

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