6977042-1985_49_07.jpg
Digital In Arbeit

Einsam und verfolgt

19451960198020002020

Parallel mit dem Wachsen der Friedensbewegung im Westen wurde auch die Wehrdienstverweigerung im Osten aktuell. Die Behörden reagieren mit Härte und Repression.

19451960198020002020

Parallel mit dem Wachsen der Friedensbewegung im Westen wurde auch die Wehrdienstverweigerung im Osten aktuell. Die Behörden reagieren mit Härte und Repression.

Werbung
Werbung
Werbung

Sie schickten ihre Wehrpässe an die Behörden zurück—an das Verteidigungsministerium in Warschau. Nun droht ihnen der Prozeß. 28 junge Polen sind es, die unter Hinweis auf „ideologische Elemente“ im Fahneneid sich zur Wehrdienstverweigerung entschlossen. In Polen werden die Rekruten auf Treue zur Regierung „Volkspolens“ und zum Bündnis mit der Sowjetunion angelobt (letzteres hat übrigens auch Verfassungsrang).

Die*Wehrdienstverweigerer gehören der inoffiziellen polnischen

Friedensbewegung an, deren Ursprünge bis in das Jahr 1983 zurückreichen. Aber erst im Februar 1984 wurde in Breslau die erste „Zelle“ der Gruppe „Friede und Solidarität“ gegründet. Das damals verabschiedete 10-Punkte-Programm forderte unter anderem:

1. die Entfernung aller Nuklearwaffen von polnischem Boden;

2. den Abzug aller sowjetischen Soldaten aus Polen;

3. Auflösung der paramilitärischen Einheit ZOMO (die vor allem zur Bekämpfung innerer Unruhen eingesetzt wird).

Unabhängig von dieser ersten Gruppe entwickelten sich dann vor allem im studentischen Milieu „Friedensgruppen“, die unter anderem in einem Brief an das Parlament (Sejm) für eine Einschränkung der Wehrerziehung im Erziehungsbereich auftraten; eine Studentengruppe in Podko-wa Lesna (nahe Warschau) war dann die erste, die mit Hinweis auf den Fahneneid, der auch die Treue zur Sowjetunion beinhaltet, für aktive Wehrdienstverweigerung plädierte. Als der erste von ihnen wegen Verweigerung des Wehrpasses ins Gefängnis ging, kam es in diesem Frühjahr zum ersten Hungerstreik.

Es war eine.Unterstützungsaktion für den 28jährigen Physiker Marek Adamkiewicz, der zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war.

Die vor allem aus Studenten zusammengesetzte Gruppe nennt sich jetzt „Freiheit und Frieden“. Mitte November wurde ein Angehöriger der Bewegung, der 21jäh-rige Wojciech Jankowski, verhaftet, der aus Gewissensgründen einen Arbeitseinsatz anstelle des Wehrdienstes beantragt hatte.

Leitfigur der Bewegung ist übrigens der Österreicher Otto Schi-mek, der sich als Soldat der deutschen Wehrmacht 1944 geweigert haben soll, in der Nähe von Krakau Zivilisten zu erschießen und der in Polen fast wie ein Heüiger verehrt wird — vor allem von der Jugend.

Eine offizielle Unterstützung des polnischen Episkopates für die Wehrdienstverweigerer und Friedensaktivisten gibt es nicht — Polen ist ja immerhin das einzige Land im kommunistischen Machtbereich, wo es auch Militärgeistliche gibt.

In der DDR hat sich seit Oktober 1984 ganz eindeutig die regelrechte Einschüchterungskampagne gegen christlich motivierte Friedensaktivisten verschärft, sie wurden in der Presse als „Staatsfeinde“ abgestempelt. Dies führte unter anderem dazu, daß zum Beispiel bei der Bundessynode der Evangelischen Kirchen im September 1985 deutlich auf „Defizite bei der Gleichberechtigung der Christen“ verwiesen wurde.

Sie hielt auch fest, daß die Kirche hinter den Wehrdienstverweigerern stehe und sich für sie einsetze; eine Identifizierung könne allerdings nicht erfolgen. Die Synodenmitglieder forderten aber, daß die Tätigkeit als „Bausoldat“ nicht so eng militärisch eingegrenzt werden solle, sondern auch den Einsatz bei Katastrophenfällen, Umweltschutz oder Sozialdienst umfassen solle.

Während in den letzten zwei Jahren die DDR-Behörden eher sanft mit Wehrdienstverweigerern umgingen, indem man beispielsweise für ihre „Friedensgesinnung“ bekannte junge Menschen gar nicht erst einzog, weht nun ein anderer Wind. Zwischen 40 und 70 Personen wurden heuer im Herbst wegen erfolgter Einberufung und anschließender Wehrdienstverweigerung inhaftiert.

Die DDR-Gesetze sehen für dieses Delikt Gefängnisstrafen zwischen 22 Monaten und fünf Jahren vor.

Ähnlich wie in der DDR und Polen hat sich auch in Ungarn die Reaktion der Behörden deutlich verschärft, wobei der Episkopat unter Kardinalprimas Lekai den Wehrdienstverweigerern nicht einmal jene vorsichtige Unterstützung zuteil werden läßt, zu der sich etwa die Evangelischen Kirchen in der DDR - trotz aller Konfliktscheu — entschlossen haben.

In Ungarn gibt es seltsamerweise nur für Angehörige der „Zeugen Jehovas“ und der „Nazare-ner“-Sekte eine Befreiung vom Dienst mit der Waffe. Die „Militärzeit“ wird von diesen Gläubigen in Sondereinheiten abgeleistet.

Der katholische Wehrdienstverweigerer Karoly Kiszely hat Anfang November schließlich in einem offenen Brief an das in Budapest tagende „Kulturforum“ der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ auf die triste Lage der Wehrdienstverweigerer in Ungarn aufmerksam gemacht und auch schwerwiegende Vorwürfe gegen die ungarische Justiz erhoben.

Er beklagte unter anderem, daß Wehrdienstverweigerer in Isolationshaft gehalten würden, daß nach Verbüßung der Haft es praktisch „Berufsverbot“ gebe und eine Sperre für Auslandsreisen. Im Vorverfahren und bei der Gerichtsverhandlung gegen Wehrdienstverweigerer geschähen zahlreiche Unrechtmäßigkeiten, klagt Kiszely weiter: Sie würden durch Einschüchterung genötigt, Geständnisse zu unterschreiben, und den Verteidigern verwehre man Akteneinsicht.

Die Lage der Wehrdienstverweigerer in den Ländern Osteuropas, soweit sie überhaupt bekannt wird, ist also bedrückend. Von Seiten der Kirche kommt kaum oder gar keine Unterstützung, die Solidaritätsbekundungen und das „Mitfühlen“ von Seiten westlicher Friedensbewegungen ist dürftig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung