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Dienst am Haus Europa

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Bis vor kurzem warfen die mehrjährigen Gefängnisstrafen für Wehrdienstverweigerer einen Schatten auf die Menschenrechtspolitik Ungarns. Anfang 1988 saßen immerhin noch zirka 170 -nicht nur Zeugen Jehovas, sondern auch Katholiken und zwei „’olitische“ - im Baracska-Ge-fängnis im Osten des Landes ein. Erst als heuer am 1. März die letzten bedingt entlassen und auch laufende Verfahren eingestellt wurden, entkrampfte sich das Verhältnis etwas.

Allerdings setzt die Frist bis 1. Juli 1989 alle Beteiligten unter enormen Erfolgszwang: Denn nach diesem Stichtag müssen sich die jungen Maimer zwischen einem Zivildienst, dem Dienst in der Armee oder wieder dem Gefängnis entscheiden.

Die unzureichenden Informationen über einen Gesetzesentwurf, der in zwei Monaten das Parlament passieren soll, belastete am vorletzten Wochenende auch die im Sitzungssaal des Ungarischen Friedensrates versammelten Friedensaktivisten aus dem In- und Ausland. Die Wehrdienstverweigerung in Ungarn war bisher eher ein Thema für Solidaritätsaktionen von Amnesty und Friedensgruppen als für die offizielle Friedensbewegung im Lande.

Daß nun deren Generalsekretär Miklös Barabas sich darum bemühte, die involvierten Gruppierungen mit Vertretern der betroffenen Ministerien und mit Experten aus dem Ausland zusammenzubringen, brachte ihm sowohl Lob als auch Kritik ein. Einige radikalere Friedensaktivisten witterten Imagepflege und blieben deshalb weg. Für vier Parlamentarier ergab sich die Gelegenheit zu — populistisch gefärbten — verständnisbereiten Erklärungen.

Wieder andere, darunter Mitarbeiter der neuen politischen Kräfte (FIDESZ, Bund freier Demokraten, Ost-West-Netzwerk), nützten das Treffen, um ihre al-

ternativen Vorstellungen einzubringen. Sie waren die einzigen, die - schon bei einem Treffen der Zivildienstinitiative im März -ihre Vorstellungen relativ präzise formuliert hatten. Während ihr Koordinator Zs61t Keszthelyi, erst am 10. Jänner aus zwei Jahren Haft entlassen, dem Treffen fernblieb, nützte einer seiner Mitstreiter, J6zsef Merza, die Chance, um ihre Position in einem Fernsehinterview klarzustellen.

Merza, ein profilierter Katholik und Sprecher von Pater György Bulänyis Basisgemeinden, kom-

mentierte in einem privaten Gespräch auch die Haltung des katholischen Episkopats: „1986, zum 30. Jahrestag des Ungarn-Aufstandes, haben sich die Bischöfe unmißverständlich gegen die Wehrdienstverweigenmg und für den Militärdienst ausgesprochen.

Diese Position bekräftigte Kardinal Läszlö Paskai im Frühjahr 1988 im Gespräch mit einem unserer Mitarbeiter. Als zwei Wochen später der damalige Ministerpräsident Käroly Grösz den Erzbi-schof zu sich lud und in der langen Liste gemeinsam zu lösender Probleme auch die Wehrdienstverweigerung erwähnte, kam es auch bei dem Vertreter des Episkopats zu einem Meinungsumschwung. Während es den Politikern offensichtlich darum geht, angesichts der immensen wirtschaftlichen Probleme des Landes andere Konfliktfelder zu bereinigen, warten wir noch immer auf eine eindeutige Unterstüt-zimg unserer Anliegen durch die Bischöfe.“

Etwas bitter fügte Merza hinzu: „Jach wie vor unterstützen uns Atheisten glaubwürdiger als manche Christen.“

Wird der Gesetzestext nicht nur den Wünschen der Betroffenen,

sondern auch den Forderungen eines kürzlich vorgelegten UN-Resolutionsentwurfes entsprechen? Unter den „Vätern“ der Resolution befindet sich - neben der Bundesrepublik Deutschland, Kostarika. Frankreich, Osterreich, Spanien und Schweden — eben auch Ungarn.

In der am 2. März von der UN-Menschenrechtskommission beantragten Resolution wird klar das Recht auf eine Verweigerung von Militärdiensten aus Gewissensgründen gefordert. „Solche Formen eines Altemativdienstes mit prinzipiell non-combattant oder zivilem Charakter, im Interesse der Öffentlichkeit und ohne Strafcharakter“ müßten internationaler Standard werden.

Angesichts der unterschiedlich langen Dauer des Militärdienstes in Ungarn sind die angeblich geforderten 36 Monate Zivildienst umstritten. (So dienen im Heer zum Beispiel Studenten in der Regel zwölf Monate, Arbeiter aber 18. Dazu können noch militärische Übungen kommen.)

Den Personalmangel im Ge-sundheits- und Sozialbereich vor Augen, plädierten die Vertreter der Mirüsterien für Gesundheit und Arbeit - von den anwesenden Militärs imwidersprochen — für einen Einsatz in diesen zivilen Bereichen.

EineentsprechendeEinsatzstel-le köimte im — vom Ungarischen Friedensrat geplanten - „gemeinsamen Haus Europa“ geschaffen werden. Dieses Begegnungszentrum in Budapest soll unter anderem Treffen zwischen Ost und West und Nord und Süd fördern. Dabei soll der KSZE-Prozeß gerade auch durch die neuen sozialen Bewegimgen aufgegriffen und unterstützt werden. Die nächste Gelegenheit, um darüber zu beraten, könnte sich nach dem 25. April ergeben. Auf Einladung des Friedensrates dürfen auch Aktivisten den beginnenden Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn beobachten.

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