6950479-1984_10_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Macht des Bösen

19451960198020002020

Vorige Woche stellte der weltbekannte britische Literat Anthony Burgess in Wien seinen Roman „Der Fürst der Phantome" vor. Die FURCHE sprach mit dem Autor über das ungewöhnliche Werk.

19451960198020002020

Vorige Woche stellte der weltbekannte britische Literat Anthony Burgess in Wien seinen Roman „Der Fürst der Phantome" vor. Die FURCHE sprach mit dem Autor über das ungewöhnliche Werk.

Werbung
Werbung
Werbung

Nach Ansicht vieler Kritiker ist Anthony Burgess der talentierteste englischsprachige Schriftsteller der Gegenwart. Und seit Vladimir Nabokov hat wohl kein Autor die englische Sprache mit solcher Brillanz gehandhabt. Ungewöhnlich vielseitig und produktiv, hat Burgess bereits um die 30 Romane und rund ein Dutzend Iiteraturkritische Werke sowie Film-Drehbücher verfaßt. Er komponiert auch. Derzeit arbeitet er wieder an einer Symphonie.

Anthony Burgess wurde 1917 in Manchester in einer katholischen Familie geboren. Sein katholischer Glaube — auch wenn gewiß nicht immer orthodox — ist ein wesentlicher Bestandteil seiner schriftstellerischen Arbeit. Burgess betrachtet die Welt als Bühne eines gewaltigen Kampfes zwischen Gut und Böse; eine Art ma-nichäisches Thema — aber, er besteht darauf: „Ich bin kein Mani-chäer".

In seinem jetzt erschienenen Roman „Der Fürst der Phantome" (engl. Original „Earthly Powers") nimmt er die Debatte zwischen der augustinischen und der pelagianischen Weltsicht (Prädestination versus Freier Wille) wieder auf, die sein bekanntestes, von ihm allerdings nicht hoch eingeschätztes Werk kennzeichnete: Uhrwerk Orange (Clockwork Orange).

Was man an „Fürst der Phantome" kritisch anmerken kann, ist, daß der Standpunkt des Autors selbst nicht klar zutage tritt. Burgess dazu in einem FURCHE-In-terview: „Sie können nicht erwarten, in dem Buch theologische Konsequenz zu finden." Das stimmt. Was man anstatt dessen findet, ist sprühende Intelligenz, linguistischer Erfindungsreichtum und Witz, viel Witz. Und das alles auf 870 Seiten...

Um es gleich vorwegzunehmen: Burgess ist ein konservativer Katholik. Papst Johannes XXIII. bewundert er überhaupt nicht und der ist in gewisser Weise das Modell für eine Hauptfigur des Romans, nämlich Carlo Campanati, später Papst Gregor XVII.

„Der Fürst der Phantome" ist nicht einfach zusammenzufassen. Der Erzähler im Roman, Kenneth Toomey, ein 81jähriger, wohlhabender, homosexueller Schriftsteller (Vorbild war in diesem Fall Somerset Maugham), wird vom Erzbischof von Malta gebeten, Zeugnis über ein Wunder abzugeben. Das Wunder, die Heilung eines tödlich erkrankten Kindes, wurde vom künftigen Papst Gregor XVII. bewirkt.

Die Bitte setzt den Zug der Reminiszenzen in Bewegung, die die Substanz dieses Buches ausmachen. Der Erzähler ruft eine oft ausgelassene Verbindung mit Größen der englisch-sprachigen Literatur in Erinnerung; seine ständigen Reisen nach Amerika, Nazi-Berlin, ins angeschlossene Österreich und in den Fernen Osten; seine unglücklichen Liebes-Affären — mit einer Ausnahme. Sie betrifft eine keusche, aber glückliche Verbindung mit einem englischen Arzt in Malaysia, der in die verhängnisvolle Abhängigkeit eines Tamilen-Zauberers geraten ist.

Gegenüber früheren Romanen fällt auf, daß der Leser im „Fürst der Phantome" ein Wunder und den Fall fataler dämonischer Besessenheit akzeptieren muß. Burgess dazu: „Ja, die Grundlage des Buches ist etwas, was die meisten Leute schwer akzeptieren können: daß ein Kind durch eine Krankheit dem Tode geweiht ist und ein Priester es durch seine Gebete heilen kann — in der Tat ein Wunder. Aber das ist schon vorgekommen ..." Er fügt hinzu: „Ich bin abergläubisch und nicht durch und durch rational."

Der Leser ist dazu aufgefordert, die Erinnerungen des alten Toomey sehr skeptisch aufzunehmen. Burgess: „Das Buch ist vollgestopft mit Fehlern, Lücken im Erinnerungsvermögen, aber auch deutlichen Grammatik-Fehlern — alles Hinweise auf die Fehlbarkeit des menschlichen Gedächtnisses. Diese Fehler sind absichtlich eingeflossen, was einige Kritiker aber nicht mitbekommen haben... "

Burgess dann noch einmal grundsätzlich zu diesem Buch, das von der Kritik in den USA, England und Frankreich mit Begeisterung aufgenommen wurde: „Zum Teil ist der Roman auch der Versuch, den Horror in Nazi-Deutschland darzulegen. Das Böse in einem solchen Ausmaß läßt sich nämlich nicht bloß mit politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Ursachen erklären, das ist zu trivial. Offensichtlich bedarf der Nazismus einer theologischen Erklärung, aber bis jetzt hatte niemand den Mut, die Sache so anzugehen. Aber man kann das in einem Roman tun.

Niemand hat bis jetzt zu behaupten gewagt, daß den Deutschen eine gewaltige Kraft des Bösen widerfahren ist, die von außerhalb in sie gefahren ist. Dasselbe erleben wir jetzt im Iran.

Chomeini schickt achtjährige Knaben mit Stöcken in die Minenfelder. Daß sie dabei zerrissen werden, ist völlig gleichgültig: Die Soldaten sind sicher. Eine Erklärung für dies ist das plötzliche Auftreten einer diabolischen Kraft — eine mögliche Erklärung ..."

In den drei Jahren seit dem Erscheinen von „Earthly Powers" hat Burgess zwei weitere Romane und ein literaturkritisches Werk verfaßt. Zwei weitere große Romane will er noch publizieren, einer davon soll eine humorvolle Fassung von Dostojewskis „Brüder Karamasow" werden.

DER FÜRST DER PHANTOME. Von Anthony Burgess. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart-Wien 1984. 870 Seiten. Ln., öS 310,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung