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Ein unbekannter Märtyrer

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Als Otto Neururer, Pfarrer von Götzens in Tirol, im Sommer 1938 den Fürstbischof von Brixen besuchte, sagte er ihm: „Für mich beginnt jetzt der Kreuzweg. Ich bin bereit; nur bitte ich Gott, daß er mir die Zeit abkürze.” Am 15. Dezember desselben Jahres wurde er von der Gestapo verhaftet; und am 30. Mai 1940, vor 40 Jahren, starb er im Bunker des KZ Buchenwald.

Sein Foto hängt in der Ausstellung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) neben dem Bild des Provikars Lampert, welcher wegen der von ihm verfaßten Todesanzeige (Neururer starb „nach großem Leid” und „sein Sterben werden wir nie vergessen”) ebenfalls verhaftet und schließlich hingerichtet wurde.

Pfarrer Neururer kam 1882 als 12. Kind einer Tiroler Bergbauernfamilie zur Welt. Er war ein schwächlicher Bub, der sich kaum für das harte Berg-bauernleben eignete, aber bald durch seine Intelligenz und seine stille Beharrlichkeit im Lernen auffiel. Er wurde zum Studium nach Brixen geschickt, trat nach der Matura mit großer Selbstverständlichkeit ins Priesterseminar ein, erhielt 1907 die Priesterweihe.

Was nachher kam, war ein wenig aufsehenerregendes Leben als Koope-rator in mehreren dörflichen Pfarr-sprengeln Tirols, bis er schließlich als Benefiziat an die Pfarrkirche St. Jakob in Innsbruck berufen wurde. 14 Jahre blieb er dort, still wirkend, von vielen seiner Jahrgangskollegen längst überholt.

Doch es zog ihn hinaus aus der Stadt. So bekam er 1932, schon 50jährig, die

Pfarre in Götzens. Dort wollte er bis zum Ende seines Priesterlebens bleiben. Sein Wunsch ging in Erfüllung - doch anders als er dachte.

1938 kam die Besetzung Österreichs. Pfarrer Neururer war wohl kein großes Kirchenlicht, doch die Flamme seiner Uberzeugung brannte stetig und unbeirrbar weiter. Die Gelegenheit, Für seine Glaubenstreue Zeugnis abzulegen, ergab sich nur zu bald.

In der Gegend gab es einen SA-Mann, einen „Alten Kämpfer”, der mit der „österreichischen Legion” wieder nach Tirol heimgekommen war. Er war aus der Kirche ausgetreten, hatte sich

„Sie hatten ihn an den Beinen aufgehängt, bis er nach langen Qualen starb. von seiner Frau scheiden lassen und wollte nun eine Bauerntochter aus Götzens vor dem Standesamt heiraten.

Pfarrer Neururer betrachtete es als seine Pflicht, seinem Seelsorgekind klarzumachen, daß eine bloße Ziviltrauung mit katholischen Grundsätzen unvereinbar ist und daß er das Mädchen mit einem geschiedenen Mann nicht kirchlich trauen könne. Sie machte nun die Verlobung rückgängig und der verhinderte Bräutigam erstattete darauf Anzeige bei der Gestapo wegen „Verächtlichmachung der deutschen Ehe”.

Es kam, was Pfarrer Neururer bei seinem Gang zu dem Mädchen vorausgeahnt hatte. „Der Herrgott hat's geschickt, er wird es auch tragen helfen”, sagte er, als der Gestapo-Wagen vor dem Pfarrhaus vorfuhr.

Nach drei Monaten kam Neururer aus dem Polizeigefängnis ins KZ Dachau und von dort mit anderen österreichischen Priestern im September 1939 ins KZ Buchenwald. Seine Kameraden berichteten, daß er nie imstande war, zu begreifen und sein Verhalten danach einzurichten, daß die SS-Mannschaft -Menschen, Ebenbilder Gottes - sich so entsetzlich vertiert benehmen konnte.

Sie ertappten ihn dabei, wie er in heimlicher Ausübung seines Priesteramtes einem Mithäftling, der wieder in die Kirche eintreten wollte, Konvertitenunterricht gab. Sie steckten ihn dafür in den Bunker. Zwei Tage später war er tot. Sie hatten ihn an den Beinen aufgehängt, bis er nach langen Qualen starb.

Pfarrer Otto Neururer ist heute so gut wie vergessen. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands bewahrt die Zeugnisse über das stille Leben und den Märtyrertod Neu-rurers und vieler anderer, die wegen ihres Eintretens für ihre politische oder religiöse Überzeugung Verfolgung litten.

Das DÖW hat sich nun die Aufgabe gestellt, für jedes Bundesland die Dokumente, Fotos und Erinnerungen an jene fast Vergessenen zu sammeln und Für eine Nachwelt aufzubewahren, die es nicht mehr notwendig findet, das Gedenken an die furchtbare Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und an ihre Märtyrer zu verdrängen. Das DÖW ist für jede noch so kleine Unterstützung dieser Arbeit dankbar.

Zuschriften - Erinnerungen, Fotos usw. - sind erbeten an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, 1010 Wien, Wipplinger-straße8.

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